Lauterbach: Wir machen das Land moderner.

Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach sprach mit der Welt am Sonntag u.a. über die Ärzteproteste sowie anstehende Projekte zu Digitalisierung und medizinscher Forschung.

21. Januar 2024

Welt am Sonntag: Herr Lauterbach, das Jahr hat mit Streiks und Protesten begonnen. Trägt die Bundesregierung ein Maß an Verantwortung für diese Stimmung?

Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach: Zum Teil ja. Durch Streit in der Ampel haben wir für Verunsicherung gesorgt. Das hat überdeckt, dass wir große Krisen in der Bundesregierung gut bewältigen können und bewältigt haben, zum Beispiel die Gaskrise. Wir haben dieses Land auf vielen Ebenen modernisiert, Reformen nachgeholt, die lange liegengeblieben sind. Die tatsächliche Bilanz ist also sehr viel besser, als es in der Öffentlichkeit scheint. Da müssen wir ran. Intern in der Sache streiten und dann nach außen zusammen den Kompromiss vertreten. Im Gesundheitsbereich ist uns das ja ganz gut gelungen.

Was aber nicht dazu führt, dass gegen Ihre Politik weniger protestiert wird. Über den Jahreswechsel etwa haben Ärzte ihre Praxen geschlossen. Können Sie ihren Frust nachvollziehen?

In Teilen ja. Deswegen gehen wir die Probleme, über die Ärzte klagen, ja auch entschlossen an. Hausärzte werden entbudgetiert, sie sollen alle Leistungen vergütet bekommen. Wir werden den Arzneimittelregress weitgehend abschaffen. Und wir sorgen dafür, dass die Ärzte keine finanziellen Nachteile hinnehmen müssen, wenn Patienten jetzt nicht mehr wegen jeder Krankschreibung oder Rezeptverlängerung in die Praxis kommen müssen. Die Probleme der Ärzte sind also angekommen – auch ohne Praxisschließungen. Wobei sich die meisten Ärzte ohnehin nicht über die Feiertage an den Streiks beteiligt haben.

Warum führen Sie die Entbudgetierung nur für Hausärzte ein, nicht aber auch für Fachärzte? Auch diese wollen nicht ab einer gewissen Patientenzahl für deutlich weniger Geld oder gar kostenlos arbeiten.

Die Ärzte arbeiten nicht kostenlos. Das ist eine Mär. Ein großer Teil der Leistungen ist bereits heute entbudgetiert. Und obwohl das Honorar ab einer bestimmten Grenze abgestaffelt wird, ist es für Fachärzte durchaus üblich, vor Steuern zwischen 200.000 und 400.000 Euro im Jahr zu verdienen. Das gönne ich ihnen. In diesem Jahr kommen noch einmal vier bis fünf Prozent dazu. Aber klar ist auch: Wenn wir überall sofort alle Einkünfte entbudgetieren, würde das im laufenden Jahr zu einem deutlich höheren Beitragssatz für die Versicherten führen. Das ist vor diesem Hintergrund nicht zu vertreten.

Sie sprechen von einer angespannten Lage bei der gesetzlichen Krankenversicherung. Gleichzeitig planen Sie 1000 sogenannte Gesundheitskioske in benachteiligten Regionen. Wie passt das zusammen?

Gesundheitskioske würden zu einer deutlich besseren Versorgung in den ärmsten Stadtteilen Deutschlands führen. Für 200 Kioske rechnen wir mit Kosten von circa 50 Millionen Euro. Langfristig soll es 1000 Kioske geben. Das ist ein Bruchteil der Gesamtausgaben für Krankenhäuser. Halten Sie das wirklich für unverhältnismäßig? Ich nicht. Ich halte es sogar für ein Gebot der Nächstenliebe, dass wir dort hingehen, wo die Ärmsten der Armen derzeit keine Versorgung haben.

Niemand bestreitet, dass arme Menschen gesundheitlich versorgt werden müssen. Die Frage ist nur, ob es sinnvoller wäre, niedrigschwelligen Zugang zu Arztpraxen zu schaffen, anstatt Parallelstrukturen aufzubauen.

Die Wahrheit ist doch, dass es in solchen Stadtteilen meistens kaum noch Fachärzte gibt – es fehlen häufig Orthopäden, HNO-Ärzte, Augenärzte. Wir können keinen erleichterten Zugang zu Ärzten schaffen, die dort gar nicht sind. Selbstverständlich arbeiten wir auch an anderen Gesetzen, die es ermöglichen, dass in den Regionen mehr Arztpraxen eröffnen, etwa in dem wir den Ländern in den Zulassungsausschüssen ein Stimmrecht geben.

Sie setzen auch verstärkt auf Digitalisierung. Ärzte sollen etwa seit Jahresbeginn E-Rezepte ausstellen. Einer Umfrage zufolge tun dies aber knapp 60 Prozent nur, um Sanktionen zu vermeiden.

In der Vergangenheit waren die Erfahrungen mit dem E-Rezept nicht gut. Jetzt aber wird das E-Rezept in den Praxen und Apotheken angenommen und spätestens in den kommenden Monaten zu einer vertrauten Routine für jeden werden. Natürlich wäre es mir auch lieber gewesen, das E-Rezept ohne Sanktionen einzuführen. Aber es muss so sein, dass es für die wenigen Ärzte, die das E-Rezept sonst nicht nutzen würden, auch Konsequenzen gibt.

Gilt das auch für die elektronische Patientenakte?

Die Einführung der elektronischen Patientenakte wird die größte Veränderung in der ambulanten Versorgung der Zukunft. Mit ihr wird die Medizin besser werden. Auf der Akte sind alle Befunde versammelt, die Sie benötigen. Alles auf einen Blick. Jeder behandelnde Arzt kann in Sekundenschnelle darauf zurückgreifen. Außerdem wird es individuelle KI-gestützte Präventionsangebote geben. Dann wird Ihnen künstliche Intelligenz auf der Grundlage Ihrer Befunde Vorschläge machen können, welche Vorsorge Sie betreiben sollten, welche Behandlung hilft, ihre Fragen zur Diagnose beantworten.

Die Daten werden außerdem pseudonymisiert und sicher für die Forschung genutzt. Auch hier kommt KI zum Einsatz. Das wiederum wird eine deutlich verbesserte Medizinforschung bringen.

Viele kritisieren, dass sie aktiv widersprechen müssen, wenn sie nicht wollen, dass ihre Daten zugänglich werden. Hätte man nicht in größeren Kampagnen auf die Vorteile der Patientenakte hinweisen können?

Die Kampagnen werden wir auch so starten. Wir müssen den Patientinnen und Patienten ja erklären, was sich ändert. Die sogenannte Opt-out-Regelung garantiert ihnen eine überlegene medizinische Versorgung. Ihr Arzt kann sie besser behandeln, wenn ihm alle Daten vorliegen. Deshalb machen wir die elektronische Patientenakte, die bessere Versorgung, auch zur Regel. Wer sich dagegen entscheidet, entscheidet sich gegen die Vorteile. Dafür muss er aktiv werden. Im Übrigen werden die elektronischen Patientenakten derart verschlüsselt sein, dass unberechtigter Zugriff verhindert wird. Der Schutz der Daten erfolgt auf dem höchstmöglichen Niveau.

Sie planen auch ein Gesetz, dass die Forschung und Produktion von Medikamenten in Deutschland stärken soll. Was genau haben Sie vor?

Wir verfügen in Deutschland über eine beeindruckende Grundlagenforschung in der Medizin. Auf dem Gebiet stehen wir mit an der Spitze weltweit, aber beim nächsten Schritt – den klinischen Studien und der Arzneimittelentwicklung – sind wir leider mangelhaft. Da fallen wir hinter die USA, Israel, Großbritannien und sogar hinter die skandinavischen Länder weit zurück. Das ist ein riesiger Nachteil für die Patienten. Daher entbürokratisieren und beschleunigen wir die Genehmigung, Durchführung und Auswertung klinischer Studien so weit wie möglich. Gleichzeitig erleichtern wir Forschung an Gesundheitsdaten.

Diese Signale kommen an. Ich bin derzeit mit großen europäischen und asiatischen Pharmaunternehmen im Gespräch. Es geht um die Ansiedlung weiterer Arzneimittelproduktion in Deutschland.

Sie sagten, in der Ampel gebe es bei Gesundheitspolitik keinen öffentlichen Streit. Aber genau das ist der Grund, warum die Cannabis-Legalisierung immer noch nicht verabschiedet wurde. Wann ist es nun so weit?

Ich gehe weiterhin davon aus, dass das Cannabis-Gesetz in der Woche vom 19. bis zum 23. Februar im Bundestag verabschiedet wird und dann ab 1. April gelten kann. Die Gespräche dazu laufen vielversprechend.

Der Widerstand der Innenpolitiker ist massiv, insbesondere in der SPD und in den Bundesländern. Zum Beispiel wird bezweifelt, wie die Konsumverbotszonen von 100 Metern um jede Schule und Kita herum kontrolliert werden sollen.

Im Ziel sind wir uns einig: Wir wollen nicht, dass vor Schulen und vor Kitas Cannabis geraucht wird. Dafür haben wir einen Abstand von 100 Metern als Verbotszone definiert. Ich halte das für eine Entscheidung mit Augenmaß. Es stimmt natürlich, dass so eine Vorgabe kontrolliert werden muss und nicht jeder einzelne Verstoß geahndet werden kann. Das ist aber bei jedem Gesetz so. Im Übrigen haben wir auch jetzt schon mit dem Schwarzmarkt einen erheblichen Kontrollaufwand.

Sie haben Ihr Leben lang gegen die Cannabis-Legalisierung argumentiert, schwenkten kurz vor Bildung der Ampel-Regierung um. Ein Zufall?

Nein. Die Studienlage hat sich in den vergangenen Jahren gedreht. Höhere toxische Konzentrationen in den Schwarzmarktprodukten und Beimischungen gefährden die Konsumenten. Deshalb müssen wir den Schwarzmarkt austrocknen. Die kontrollierte Abgabe von Cannabis ist dafür der richtige Weg, kombiniert mit einem besonderen Kinder- und Jugendschutz.

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