Lauterbach: Wir holen Cannabis aus der Tabuzone

Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach wirbt im Bundestag bei der 2./3. Lesung des Cannabisgesetzes um Zustimmung zur kontrollierten Abgabe von Cannabis zu Konsumzwecken.

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Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach: 

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir beschließen heute ein sehr wichtiges Gesetz, mit dem wir unsere Cannabiskontrollpolitik grundsätzlich verändern. Wir verfolgen zwei Ziele. Das erste Ziel ist es, den Schwarzmarkt zu bekämpfen. Das zweite Ziel ist ein besserer Kinder- und Jugendschutz.

Wieso müssen wir das tun? Kann es nicht so bleiben, wie es jetzt ist? Die Lage, in der wir derzeit sind, ist in keiner Weise akzeptabel; sie ist nicht befriedigend.

Wenn wir uns allein das Problem bei Kindern und Jugendlichen anschauen, sehen wir: In der Zeit von 2011 bis 2021, in zehn Jahren, ist die Zahl der Konsumenten in dieser Altersgruppe, die besonders gefährdet ist, um 50 Prozent gestiegen.

In der Altersgruppe der 18 bis 25-Jährigen ist die Zahl der Konsumenten in zehn Jahren um 100 Prozent gestiegen.

Wir haben zunehmend Probleme mit Beimengungen; Cannabisprodukte sind unrein. Wir haben toxische Konzentrationen: THC-Anteile von 30 bis 40 Prozent werden gemessen - mit unmittelbaren Auswirkungen auf die Psyche der Konsumenten.

Wir haben eine steigende Anzahl an Drogendelikte: 180 000 belegte mit Cannabiskonsum zusammenhängende Delikte pro Jahr. Ich sage so viel: Was auch immer wir tun, wir können so nicht weitermachen.

Da kann man den Kopf in den Sand stecken; da kann man Bierzeltreden halten. Aber damit lösen wir nicht ein einziges Problem.

Wir müssen uns den Problemen stellen, und der Ansatz, den wir hier verfolgen, ist ein guter Ansatz.

Wir verfolgen vier Ziele: Wir legalisieren den Eigenkonsum, wir schaffen eine Alternative zum bedenklichen, kriminellen Schwarzmarkt, - wir klären auf über die Gefahren von Cannabis - insbesondere für das wachsende Gehirn, für Kinder und Jugendliche, für unter 25-Jährige -, und wir erhöhen das Strafmaß für diejenigen, die bandenmäßig an Kinder und Jugendliche verkaufen, auf mindestens zwei Jahre.

In dieser Kombination gehen wir die Probleme gemeinsam an. Wir stecken nicht den Kopf in den Sand; wir lassen Kinder und Jugendliche, junge Leute nicht allein.

Ich selbst bin über viele Jahre hinweg ein Gegner der Legalisierung gewesen. Aber es ist die Wissenschaft, die jetzt sagt: Diesen Weg müssen wir gehen.

Wir werden heute hören, dass es viele Gegenstimmen gibt. Das weiß ich.

Das ist eine schwere Entscheidung. Sie fällt nicht leicht. Die Lage, in der wir sind, ist nicht optimal. Aber die Suchtforscher geben uns mit auf den Weg, dass das der Weg ist, der funktioniert: weg von der Bestrafung, weg von der Tabuisierung.

Wir müssen uns den Problemen stellen, und wir müssen hier mit Aufklärung arbeiten und nichts anderem.

Ich werde immer gebeten, zu sagen, weshalb man, wenn bis 25 das Gehirn wächst, nicht ab 25 legalisiert: weil wir dann gerade die besonders gefährdete Gruppe der 18- bis 25-Jährigen dem Schwarzmarkt überlassen würden. Das ist eine Scheinlösung. Damit würden wir das Problem nicht lösen.

Ich werde immer wieder gefragt: Weshalb diese großen Mengen? Weshalb drei Pflanzen? Ist das nicht viel zu viel? Oder: 50 Gramm pro Monat, ist das nicht viel zu viel?

Das Ganze kann nur funktionieren, wenn wir dem Schwarzmarkt ein Angebot entgegensetzen und keine Scheinlösung anbieten.

Wir dürfen nicht legalisieren, ohne auch den Anbau über Anbauvereine und den Eigenbedarfsanbau zu erlauben; denn sonst hätten wir das gemacht, was in Holland nicht geklappt hat, wir hätten legalisiert und den Schwarzmarkt behalten. Das wäre die schlechteste Kombination, die wir machen könnten.

Und schließlich: Natürlich nehme ich die viele Kritik wahr, die es daran gibt, dass das kontrolliert werden muss. Das ist ein riesiger Aufwand; das gebe ich zu. Die Kontrolle ist keine Kleinigkeit.

Aber was passiert denn jetzt? Jetzt haben wir 180 000 Verfahren pro Jahr. Wir haben Kontrolle. Wir kriminalisieren junge Leute, denen wir das Leben zerstören, weil wir sie nicht vor dem Schwarzmarkt und dem Drogenhandel geschützt haben.

Wir haben diese Menschen ins offene Messer laufen lassen und bestrafen sie dann noch mit Vorstrafen, die ihr Leben vernichten können. Das ist falsch.

Lassen Sie uns nach vorne blicken! Das ist ein Thema für aufgeklärtes Denken. Ich möchte mich ausdrücklich bedanken für die ausgezeichnete Diskussion, die wir in der Ampel gehabt haben. Da ist tabulos ernsthaft diskutiert worden. Das ist niemandem leichtgefallen. Aber ich glaube, wir haben hier gemeinsam viel bewirkt. Bitte stimmen Sie für diese dringend notwendige Modernisierung unserer Cannabispolitik!

Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas:

Ich habe zwei Kurzinterventionen vorliegen, von Frau Dr. Baum und von Tino Sorge.

Frau Dr. Baum, Sie dürfen beginnen. - Herr Minister, Sie haben dann die Möglichkeit, darauf zu antworten.

Dr. Christina Baum (AfD):

Vielen Dank. - Herr Professor Lauterbach, Sie haben festgestellt, dass der Drogenkonsum gerade bei Jugendlichen in den letzten zehn Jahren um 50 Prozent gestiegen ist. Aber anstatt nach den Ursachen zu forschen - warum ist das so? warum wollen junge Leute der Realität entfliehen? -, wollen Sie den Erwerb erleichtern.

Für mich ist das ein ganz klares Zeichen dafür, dass in dieser Gesellschaft die gesamte Entwicklung nicht mehr stimmt, wenn die Jugendlichen mit ihrer Situation anscheinend schon in jungen Jahren nicht mehr klarkommen. Warum erforschen Sie nicht, warum fragen Sie nicht nach, warum die Jugendlichen zu den Drogen greifen? Das ist doch das Entscheidende. Sie gehen nicht auf die Ursachen ein, sondern Sie wollen wieder mal die Auswirkungen irgendwie verbessern. - Danke schön.

Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas:

Ich würde erst noch die Kurzintervention von Tino Sorge zulassen und dann den Minister umfänglich antworten lassen. - Frau Baum, Sie können dann auch erst mal stehen bleiben.

Tino Sorge (CDU/CSU):

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Lauterbach, ich saß hier und war kurz vorm Platzen.

Denn wir hätten das Thema mit Ihnen gerne auch im Ausschuss diskutiert; aber Sie haben ja den Ausschuss zu dem Thema überhaupt nicht besucht. Deshalb will ich nur ganz kurz auf ein paar Dinge eingehen und auch nachfragen.

(Dorothee Bär (CDU/CSU): Wahnsinn! - Zurufe der Abg. Heike Baehrens (SPD) und Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das ist die mit Abstand absurdeste Rede zu dem Thema, die ich seit Langem gehört habe.

(Beifall bei der CDU/CSU und der AfD)

Sie behaupten hier allen Ernstes als Bundesgesundheitsminister, als Minister, der für die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zuständig ist, dass wir mit der Legalisierung weiterer Drogen den Konsum bei Kindern und Jugendlichen eindämmen werden.

Das ist der größte Blödsinn, den ich je gehört habe, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich sage Ihnen das ganz konkret, weil Sie hier wieder die Fake News - anders kann man das nicht bezeichnen - verbreitet haben, dass es einige Gegenstimmen gegeben habe: Die gesamte Expertencommunity warnt vor diesem Vorhaben.

Das sind Kinder- und Jugendärzte, das sind Psychologen, das sind Psychiater, das sind Polizeibeamte, das sind Kriminalbeamte, das sind Pädagogen, das sind Eltern, das sind Lehrer. Alle sagen: Hören Sie mit diesem Vorhaben auf!

Deshalb meine Frage: Wie wollen Sie den Kinder- und Jugendschutz bei dieser Thematik sicherstellen? Sie haben die Möglichkeit, 50 Gramm getrocknetes Cannabis zu Hause zu bunkern.

Wir sehen jetzt schon - weil Sie so auf Studien stehen -, dass in Ontario, in Kanada, die Vergiftungserscheinungen extrem zugenommen haben. Wie wollen Sie das hinbekommen? Sie machen sich einen schlanken Fuß, werfen eine Legalisierung in den Raum und sagen den Ländern: Jetzt guckt mal, wie ihr damit klarkommt. - Das ist unverantwortlich.

Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach:

Frau Präsidentin! Zunächst einmal ist die Frage von Frau Baum berechtigt: Was sind die Gründe? Einen Grund habe ich eben angedeutet - den kann ich aber noch breiter ausführen -: Es ist zum Teil der Schwarzmarkt. Die Drogenkriminalität wendet sich oft gezielt an junge Leute, um Abhängige für andere Drogen zu gewinnen. Das heißt, der Schwarzmarkt ist der Kern des Übels, und jeder Kampf gegen den Schwarzmarkt ist ein wichtiger Schritt in Richtung besserer Schutz für unsere jungen Menschen.

Der zweite Grund - Ihre Frage war ja berechtigt, Frau Baum -: Es fehlt oft an Aufklärung. Viele junge Menschen wissen nicht, dass Cannabiskonsum auf das wachsende Gehirn wie ein Gift wirkt.

Daher werden wir die Aufklärung in den Vordergrund stellen. Wir werden eine Aufklärungskampagne machen. Am Ende dieser Aufklärungskampagne wird jeder wissen, dass Cannabis für das wachsende Gehirn extrem schädlich ist.

Wir verharmlosen das nicht. Wir ziehen das aus der Tabuzone heraus und klären auf - eine Aufklärung, die wir unseren Kindern schon längst schulden.

Herr Sorge, zunächst einmal: Ich habe mit zahlreichen Mitgliedern des Ausschusses ernsthaft über dieses Thema gesprochen und respektiere übrigens sogar Mitglieder im Gesundheitsausschuss, die sagen: Nachdem ich alle Argumente gehört habe, stimme ich dem Gesetz nicht zu. Solche Mitglieder gibt es auch; es sind wenige.

Aber Sie haben mich auf das Thema nie angesprochen.

Sie haben niemals einen Informationsbedarf artikuliert.

Ich bin zu diesem Thema auch nicht vom Ausschuss eingeladen worden.

Ich spreche immer im Ausschuss, zu jedem Thema, zu dem ich eingeladen werde. Ich verbitte mir daher den Hinweis, ich wäre dieser Debatte aus dem Weg gegangen.

Ich habe mit sehr vielen Leuten hier gesprochen; Sie haben keinen Informationsbedarf gehabt.

Lassen Sie mich noch Folgendes anmerken: Sie sagen, das, was ich sage, sei Blödsinn. - Das ist kein Argument.

Ich kann Ihnen aber sagen, weshalb ich davon ausgehe, dass die Legalisierung nicht zu einem Anstieg des Konsums bei Kindern und Jugendlichen führen wird. Wir haben die Daten aus Kanada. Wir haben die Daten aus Colorado. Wir haben die Daten von den Suchtforschern.

Die Legalisierung dort hat dazu geführt, dass der Konsum bei Kindern und Jugendlichen nicht weiter gestiegen ist - anders als bei uns -, sondern er konnte beherrscht werden.

Es ist der Weg der Wissenschaft, dem wir folgen, auch wenn Sie darauf keinen Wert legen, sondern die Dinge hier polemisieren, als wären wir im Studentenparlament.

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