Spahn: „Widerspruchslösung ist die Pflicht, sich mit der Organspende auseinanderzusetzen.“

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat bei der breiten Debatte über Verbesserungen für die Organspende im Bundestag zu seinem Vorschlag einer doppelten Widerspruchslösung Stellung genommen.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn am Redepult im Plenarsaal des Deutschen Bundestages

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Bundesgesundheitsminister Jens Spahn:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich werbe, wie andere auch, immer wieder dafür, dass wir als Bürgerinnen und Bürger dieses Landes argumentativer, besser, sachlicher, auch mit Wertschätzung des Gegenargumentes miteinander debattieren, damit wir vielleicht lernen, es an manchen Stellen besser zu machen als in der öffentlichen Debatte in den letzten Monaten und Jahren. Ich finde, ein Beispiel für eine Debatte, bei der wir uns das zutrauen dürfen, aber vielleicht auch zumuten müssen, ist genau diese Debatte, die wir heute hier über die Organspende führen.

Dieses Thema treibt mich um - als Gesundheitspolitiker, aber auch als Mensch, der, wie viele Kolleginnen und Kollegen hier, regelmäßig in Kontakt mit Menschen ist, die auf ein Organ warten, mit Menschen, die ein Organ geschenkt bekommen haben, deshalb überglücklich sind und sich jetzt umso engagierter in diese Debatte einbringen.

Aufklärung, Bewusstseinsbildung, Einladung zur Entscheidung - das wäre ohne Zweifel der Weg, der auch mir als Christdemokraten erst einmal näherläge. Aber auch ich befand mich da in den letzten Jahren in einem Prozess. Die Regelung, wie sie heute ist, hat die Mehrheit des Hauses vor einigen Jahren gemeinsam beschlossen. Aber wir müssen eines konstatieren: Wir hatten im letzten Jahr erneut einen Tiefstand bei der Organspende: nicht einmal 800 Organspender im Jahr 2017. Wir haben - es ist schon gesagt worden - über 10 000 Menschen, die warten. Vor allem könnte jeder von uns morgen selbst in der Situation sein, auf eine Organspende angewiesen zu sein.

Wir haben - das ist schon gesagt worden - als Bundesministerium für Gesundheit bzw. als Bundesregierung darauf reagiert, indem wir einen Gesetzentwurf vorgelegt haben, der die Abläufe in den Kliniken betrifft: mehr Zeit, mehr Geld, mehr Ressourcen, um potenzielle Organspender identifizieren zu können. Und wir führen - losgelöst davon - diese, wie ich finde, wichtige Debatte über die Widerspruchslösung oder andere Möglichkeiten, zu verbindlicheren Entscheidungen zu kommen. Ich wünsche mir sehr, dass wir diese Debatte - so, wie sie heute begonnen hat - sehr breit und ausführlich führen; denn ich finde, es gibt gewichtige Argumente auf beiden Seiten, die eben auch gewogen werden sollten.

Ich will im Übrigen ausdrücklich sagen: Unser Angebot seitens des Bundesministeriums an alle, die Unterstützung bei der konkreten Formulierung eines Gesetzentwurfs brauchen, steht. Wenn es darum geht, einen Gesetzentwurf zu schreiben, kann es immer gut sein, noch einmal drüberzuschauen, um zu sehen, wie es sich einfügt.

Eines freut mich besonders: Allein die Debatte, die wir in den letzten Wochen geführt haben und die auch - das bekomme ich in vielen Diskussionen mit - am Mittagstisch, auf der Arbeit, in der Nachbarschaft geführt wird, hat offenkundig schon dazu geführt - das ist jedenfalls die Einschätzung der Deutschen Stiftung Organtransplantation angesichts der gestiegenen Zahlen in den letzten Wochen ‑, dass da ein neues Bewusstsein entstanden ist. Das ist doch erst einmal eine schöne Rückmeldung. Eine gut geführte Debatte verändert das Bewusstsein und die Einstellung.

Deswegen allein lohnt es sich schon, diese Debatte miteinander zu führen.

Der Leitgedanke ist: Wie können wir die Zahl der Spender erhöhen? Ich selbst halte hier - nach langem Nachdenken - die erweiterte Widerspruchslösung für die richtige Antwort. Das heißt, dass zu Lebzeiten natürlich jeder selbst Nein sagen könnte und auch über ein solches neues Gesetz informiert werden müsste. Natürlich müssten wir jeden Bürger, jede Bürgerin anschreiben und - im Zweifel mehrmals - darüber informieren, damit Gelegenheit besteht, zu reagieren. Sollte jemand nicht zu Lebzeiten reagiert haben, dann sollten die Angehörigen immer noch im Sinne des oder der Verstorbenen entscheiden oder widersprechen können. Dafür erarbeiten wir gerade einen Gruppenantrag. Ich finde, das Nein aussprechen zu müssen, ist in einem Land, in dem so viele warten - es gibt 10 000 Wartende -, zumutbar.

Ich will dazu abschließend, Herr Präsident, eines sagen: Das einzige Recht, das dabei beschnitten würde, wäre das Recht, sich keine Gedanken zu machen. Es ist keine Organabgabepflicht, und ich fände es fair, wenn das in der Debatte auch nicht immer wieder behauptet würde; denn manchmal geht dadurch schon Vertrauen verloren. Etwas, wozu man konsequenzlos Nein sagen kann, ist keine Pflicht. Es wäre lediglich eine Pflicht zum aktiven Freiheitsgebrauch, es wäre eine Pflicht, sich Gedanken zu machen. Ich finde, angesichts der vielen Tausenden Wartenden kann man eine solche Pflicht einer freien Gesellschaft zumuten.

 

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