Warken: „Unser Ziel ist klar: Beiträge stabil halten“
Bundesgesundheitsministerin Nina Warken erklärt in der Apotheken Umschau ihre Pläne zur Stabilisierung der Krankenkassenbeiträge und zur Einleitung von Reformen.
Apotheken Umschau: Frau Warken, stellen Sie sich vor, Sie sind im Jahr 2030 und betreten eine Apotheke. Was erwartet Sie dort?
Bundesgesundheitsministerin Nina Warken: Apotheken sind in vielen Gesundheitsfragen die erste Anlaufstelle für Bürgerinnen und Bürger. Sie sind ein Ort, an dem man qualifizierte Informationen erhält und künftig auch noch mehr Dienstleistungen in Anspruch nehmen kann. Schon heute impfen sie etwa gegen Grippe und Corona. In Zukunft sollen sie auch Impfungen mit weiteren Impfstoffen durchführen können, zum Beispiel gegen Keuchhusten oder Tetanus. Zudem finden dann Check-ups oder Screenings auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit Messung von Blutwerten in Apotheken statt. Es geht auch um ein besseres Zusammenwirken mit Ärztinnen und Ärzten.
Die Apotheke ist dann also eine wichtige Anlaufstelle für Prävention?
Ja. Apothekerinnen und Apotheker können viel mehr, als sie heute dürfen. Ihre Kompetenzen müssen wir stärker nutzen. In bestimmten Fällen sollen sie die Patientinnen und Patienten in Zukunft auch direkt mit rezeptpflichtigen Medikamenten versorgen können.
Also ohne zunächst ein Rezept bei Arzt oder Ärztin holen zu müssen.
Genau. Das betrifft etwa chronisch kranke Menschen mit bekannter Langzeitmedikation bei einem dringenden Bedarf. Oder auch Patientinnen und Patienten mit unkomplizierten Erkrankungen wie einem akuten Harnwegsinfekt. Sie müssten dann nicht mehr in eine Praxis gehen, um ein Arzneimittel zu bekommen. So vermeiden wir unnötige Arztkontakte, und die Menschen erhalten in der Apotheke schnell und unkompliziert Hilfe.
In manchen Regionen ist der Weg zur nächsten Apotheke allerdings lang – vor allem auf dem Land. 500 Apotheken sind allein im vergangenen Jahr verschwunden.
Das stimmt. Deshalb werden wir entbürokratisieren, um die Übernahme einer Apotheke auf dem Land wieder attraktiver zu machen. Bei Filialapotheken soll es in Zukunft ausreichen, wenn eine Apotheke nur noch an einem Standort ein Labor hat. Das senkt die Kosten. Und wir wollen den Apotheken auch in der Personalplanung und bei Öffnungszeiten mehr Freiheiten geben. In bestimmten Fällen könnten dann auch pharmazeutisch-technische Assistentinnen und Assistenten (PTA) nach einer Weiterqualifizierung zeitlich begrenzt die Apothekenleitung vertreten.
Dann gäbe es also Apotheken ohne Apotheker oder Apothekerin vor Ort?
Nur PTA mit einer speziellen zweijährigen Weiterbildung sollen diese Aufgabe übernehmen können. Sie würden die Apothekenleitung stundenweise vertreten, aber auch in Urlaubszeiten. Wir haben auch bei Apothekerinnen und Apothekern Nachwuchssorgen. Gerade in kleinen Apotheken auf dem Land ist daher die Leitung oft selbst rund um die Uhr im Einsatz. Das ist ein Problem, zum Beispiel wenn die Apothekerin selbst Kinder hat. Die Entscheidung für die Vertretung verbleibt natürlich bei den Inhaberinnen und Inhabern.
Die Apotheken hatten auf mehr Geld gehofft. Das Honorar pro Packung ist zuletzt 2013 gestiegen, im Koalitionsvertrag versprechen Sie eine Anhebung. Ist das vom Tisch?
Nein, die Honoraranpassung haben wir uns fest vorgenommen. Aktuell gibt es aufgrund der extrem angespannten finanziellen Lage der Krankenkassen aber keinen Spielraum für mehr Geld. Die Anhebung würde immerhin rund eine Milliarde Euro pro Jahr kosten. Im kommenden Jahr werden wir noch einmal darüber reden.
Sie haben eine Kommission beauftragt, um die marode Finanzlage in den Griff zu bekommen. Was erwarten Sie?
Wir müssen die wachsende Finanzierungslücke unbedingt schließen. Unser Ziel ist dabei klar: die Beiträge stabil halten. Die Kommission wird Vorschläge ausarbeiten, wie uns das gelingen kann. Es wird sicher nicht die eine Lösung geben, sondern einen Mix aus verschiedenen Maßnahmen. Und wir alle müssen uns unter Umständen auf Einschnitte einstellen.
Wie meinen Sie das?
Leistungskürzungen können nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Einige verstehen ja schon Veränderungen wie das geplante Primärarztsystem als eine Art gekürzter Leistung. Weil man eben nicht mehr direkt zum Facharzt gehen kann, sondern der Weg über die hausärztliche Praxis führt. Aber das System wird zu mehr Effizienz und Steuerung führen und uns allen muss klar sein, dass unser Gesundheitssystem in dieser Form nicht mehr finanzierbar ist.
Das Thema Frauengesundheit liegt Ihnen besonders am Herzen. Was haben Sie vor?
Mir ist zunächst das Verständnis wichtig, dass es in der Medizin viele Unterschiede zwischen Frauen und Männern gibt: von der Dosierung von Medikamenten über Symptome bis hin zu Behandlungsansätzen. Nehmen Sie den Herzinfarkt: Bei Frauen äußert er sich oft ganz anders als bei Männern. So lange ist das auch noch gar nicht bekannt und wird nach wie vor noch nicht umfassend berücksichtigt. Solche Unterschiede müssen im Medizinstudium noch stärker thematisiert werden.
Also ein Plädoyer für eine geschlechtersensible Medizin?
Ja, aber das hat nichts mit Ideologie zu tun. Es gibt da wissenschaftlich belegte Unterschiede und die muss man im Blick haben. Eventuell kann man über die Approbationsordnung der Ärztinnen und Ärzte noch mehr regeln. Es braucht noch mehr Bewusstsein dafür, auch später im ärztlichen Alltag.
Was bedeutet das konkret für Ihre Arbeit als Ministerin?
Ich möchte in den Dialog mit allen Beteiligten treten, um gemeinsam zu überlegen, wie wir hier besser werden können. Mir geht es darum, auch Tabuthemen stärker in den Fokus zu rücken, zum Beispiel Endometriose oder die Wechseljahre.
Die Wechseljahre sind für viele Frauen ein belastendes Thema. Was wollen Sie verändern?
Ich will dieses Thema aus der Tabuzone holen. Viele Frauen erleben Beschwerden, die ihre Arbeitsfähigkeit einschränken. Gleichzeitig scheuen sie sich, darüber zu sprechen. Da geht es nicht nur um medizinische Versorgung, sondern auch um gesellschaftliche Offenheit. Ich plane dazu einen Dialog und einen breiten Austausch mit allen Beteiligten: mit Betroffenen, Ärztinnen und Ärzten, aber auch mit der Arbeitgeberseite.
Können Sie als Ministerin da überhaupt steuernd eingreifen?
Es sollen keine neuen bürokratischen Vorschriften geschaffen werden. Es geht mir vielmehr um Sensibilisierung und Förderung. Wir können Forschung unterstützen, Versorgungsangebote verbessern und durch Aufklärung dafür sorgen, dass Unternehmen sich öffnen und auch passende Angebote schaffen, etwa flexible Modelle oder Ansprechpersonen. Frauen sollen die Möglichkeit haben, offen über ihre Bedürfnisse zu sprechen.
Gibt es Forschungsgelder dafür im Gesundheitsministerium?
Die sind im Haushalt vorgesehen und ich bin optimistisch, dass sie auch bereitgestellt werden. Ich möchte hier gezielt Mittel für die Erforschung frauenspezifischer Krankheiten einsetzen. Das betrifft beispielsweise Endometriose oder Wechseljahre.