Warken: „Die Apotheken sind stärker, als sie sich einreden!“

Auf dem Apothekertag hat Bundesgesundheitsministerin Nina Warken den Fahrplan zur Apothekenreform vorgestellt. Im Interview mit der Deutschen Apotheker Zeitung erklärt sie, wie mit der Reform der wirtschaftliche Spielraum und die Kompetenzen der Apotheken erweitert werden sollen.

23. September 2025

Deutsche Apotheker Zeitung: Frau Ministerin, es war Ihr erster großer Auftritt vor der Apothekerschaft. Welchen Eindruck nehmen Sie mit aus Düsseldorf?

Bundesgesundheitsministerin Nina Warken: Die Apothekerinnen und Apotheker sind diskussionsfreudig, sie haben eine starke Meinung und eine starke Stimme. Ich habe ebenso wahrgenommen, dass es bei den Zielvorstellungen Gemeinsamkeiten gibt. Natürlich gibt es Punkte, die kritisch gesehen werden von der Apothekerschaft. Diese werden wir im weiteren Austausch besprechen.

Ich nehme gute Eindrücke mit und freue mich auf den Dialog, auch wenn es mal kontrovers wird.

Ein kontroverses Thema dürfte die versprochene Anhebung des Fixums sein, die vorerst ausbleibt. Die Apotheker bekommen mehr Verantwortung, neue Aufgaben – aber die wirtschaftliche Absicherung fehlt in Ihren Eckpunkten. Wie erklären Sie das dem Berufsstand?

In dem vorgestellten Paket sind Maßnahmen enthalten, die die wirtschaftliche Situation der Apotheken verbessern. Die Notdienstzuschläge werden erhöht und das Skonti-Verbot wird abgeschafft. Die Weiterentwicklung des Heilberufs Apothekerin und Apotheker, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, haben wir mit Leben gefüllt und schaffen den Apotheken damit neue Spielräume in der Versorgung.

Diese neuen Aufgaben bringen auch mehr Möglichkeiten zur Abrechnung.

Es ist also nicht so, dass auf der wirtschaftlichen Seite keine Änderungen geplant sind. In der Tat können wir die Anhebung des Fixums aufgrund der extrem angespannten Finanzlage der GKV nicht zeitnah einplanen, sondern müssen dieses Vorhaben schieben. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben.

Was lässt Sie hoffen, dass es bis zum Ende der Legislaturperiode genug finanziellen Spielraum gibt, dass Sie die Anhebung des Fixums noch umsetzen können?

Wir haben kürzlich unsere „FinanzKommission Gesundheit“ vorgestellt. Diese soll schon bis Ende März 2026 erste Ergebnisse liefern, die wir dann auch schnell umsetzen können zur Stabilisierung der Beiträge ab 2027. In einem zweiten Bericht werden weitere Maßnahmen vorgeschlagen, um die Finanzsituation dauerhaft auf ein solides Fundament zu setzen. Ich bin überzeugt, dass wir es schaffen, das System dadurch neu aufzustellen, was auch neue Spielräume schafft. Wir haben viel Geld in unserem Gesundheitssystem und müssen jetzt sehen, wie wir Einnahmen und Ausgaben in ein Gleichgewicht bekommen, ohne immer höhere Steuerzuschüsse zu benötigen.

Bestandteil der Eckpunkte ist auch die Verhandlungslösung zwischen Deutschem Apothekerverband DAV und GKV-Spitzenverband, die zukünftige Honorarerhöhungen verhandeln sollen. Wenn diese einmal installiert ist, gibt es für die Politik keinen Druck mehr, beim Apothekenhonorar noch einzugreifen. Entzieht sich der Staat damit seiner Verantwortung?

Selbstverwaltung ist ja immer so eine Sache: Einerseits möchten die Leistungserbringer Dinge selbst regeln, andererseits kommt immer wieder der Wunsch auf, die Politik solle eingreifen oder ein Machtwort sprechen. Wir müssen sehen, wie wir diese Verhandlungsmöglichkeit konkret ausgestalten. Es soll jedenfalls kein Zurückziehen sein, sondern die Möglichkeit bieten, außerhalb der politischen Diskussionen gemeinsam Lösungen zu finden. Grundsätzlich halte ich sehr viel davon, dass die Selbstverwaltung solche Dinge selbst regelt. Auch ich gehöre einem freien Beruf an und halte Selbstverwaltung für eine Stärke.

Das heißt, auch wenn diese Verhandlungslösung einmal installiert ist, scheuen sie sich nicht, politisch noch mal einzugreifen und zum Beispiel ein Plus beim Fixum politisch festzulegen?

Ich werde die Verhandlungen jedenfalls sehr genau beobachten.

Die Apotheker fürchten sich davor, dass die GKV eine gewisse Verhandlungsübermacht haben könnte. Wie wollen Sie den Apotheken Rückendeckung geben?

Die Apotheken sind stärker, als sie es sich einreden. Das habe ich heute selbst gespürt. Zudem gibt es bei solchen Verfahren auch immer Schiedsmechanismen. Bei allen Verhandlungen gibt es auch mal einen Konflikt, das muss nichts Schlechtes sein, sondern ein Zeichen für intensive Verhandlungen. Natürlich bin ich gerne bereit, auch mit den Apothekern darüber zu sprechen, wie diese Verhandlungslösung ausgestaltet werden kann. Aber ich habe nicht den Eindruck, dass sich die Apotheken verstecken müssten.

Gibt es in Ihrem Haus auch Überlegungen, die Apothekenvergütung grundsätzlich auf neue Füße zu stellen?

Kurzfristig auf keinen Fall. Das könnte ein Thema der GKV-Kommission werden, aber wird nicht kurzfristig Teil der Apothekenreform.

Ihre Eckpunkte enthalten auch Deregulierungen, mit denen Sie den Apotheken das Leben erleichtern wollen. Waren Sie erstaunt über den Widerstand, der Ihnen vor allem beim Thema der PTA als zeitweise befristete Leitung der Apotheken entgegenschlägt?

Die Widerstände gegen die deutlich weitergehenden Vorschläge aus der vergangenen Legislatur habe ich mitbekommen. Ich bin seit Beginn meiner Amtszeit im regelmäßigen Austausch mit Abda-Präsident Preis sowie anderen Apothekerinnen und Apothekern. Die Vorbehalte sind mir daher bekannt. Aber in Düsseldorf war das ein sehr harter Punkt, dies ist mir aufgefallen. Wenn wir neue Wege gehen wollen zur Sicherung bestehender Apotheken und gleichzeitig Hemmnisse abbauen, eine Apotheke zu eröffnen, dann müssen wir auch über solche Instrumente reden. Wenn es andere gute Vorschläge gibt, die hier ebenfalls zu mehr Flexibilität führen und den Vorstellungen der Apotheker entgegenkommen, bin ich offen. Zeitnah werden wir zunächst einen Referentenentwurf vorlegen, der als Diskussionsgrundlage dient. Dieser Dialog beginnt heute, und ich bin sicher, dass wir einen Weg finden, mit dem alle Seiten insgesamt zufrieden sein können.

ie stellen Sie sich die befristete Apothekenleitung durch PTA konkret vor?

Wir werden klare Vorgaben machen, unter welchen Bedingungen PTA eine Inhaberin oder einen Inhaber vertreten dürfen. Dafür müssen sie eine zweijährige Weiterbildung absolvieren. Deren Inhalte werden von der Bundesapothekerkammer festgelegt. Gesetzlich regeln wir dann angepasst an die Weiterbildungsinhalte die Befugnisse, die eine PTA im Rahmen der Vertretung übernehmen kann. PTA sollen begrenzt und befristet vertreten dürfen, das heißt stundenweise, aber auch im Rahmen einer begrenzten Urlaubsvertretung. Aber nicht ständig und nicht regelmäßig.

Bedeutet diese Weiterbildung für die PTA den Einstieg in ein neues Berufsbild, das zwischen den PTA und den Apothekern liegt?

Das haben wir nicht geplant, sondern es ist eine anspruchsvolle Weiterentwicklung für die PTA. Wir glauben, dass unser Vorschlag den PTA-Beruf attraktiver machen kann. Es wäre ein weiterer Baustein, das Berufsbild zu stärken. Aber es soll keine neue Ausbildung entstehen.

Teil der Eckpunkte ist auch die Aufstockung des Nacht- und Notdienstfonds. Was wird das pro Apotheke oder pro Notdienst finanziell bringen?

Unser Vorschlag bedeutet etwa eine Verdoppelung der Nacht- und Notdienstpauschale. Davon profitieren insbesondere Apotheken in ländlichen Regionen, die sehr viel häufiger Notdienste machen.

Wären damit dann auch alle weiteren Förderungen von Apotheken in strukturschwachen Gebieten abgedeckt?

Die Verhandlungen der Selbstverwaltung sollen für Apotheken ländlichen Gebieten gesonderte Zuschläge vereinbaren, zum Beispiel über Geodaten. Bis dahin gibt es die erhöhte Nacht- und Notdienstpauschale – übrigens auch für Teilnotdienste.

In den vergangenen Wochen war der Arzneimittelversand bzw. seine Regulierung immer wieder ein Thema. Sie haben in dem Zusammenhang von Sanktionen gesprochen. Haben Sie in dieser Richtung etwas vor?

Es liegt aktuell auch im Bereich der Selbstverwaltung, also der Apothekerschaft und der GKV, die Regeln und Einschränkungen beim Versand von Arzneimitteln durchzusetzen. Aber wir sehen, dass die Situation nicht zufriedenstellend ist. Deswegen müssen wir uns anschauen, ob weitere gesetzliche Regelungen notwendig sind. Ich halte das für ein Thema, das bei der Selbstverwaltung gut aufgehoben ist. Das jüngste BGH-Urteil, das zwar auf eine alte Rechtslage abstellt, wird vom BMG intensiv geprüft, da es sicherlich den einen oder anderen wichtigen Hinweis beinhaltet.

Abda-Präsident Preis hat zuletzt wiederholt ein Verbot des Versands verschreibungspflichtiger Arzneimittel gefordert. Wäre das ein Weg, die fortgesetzten Rechtsbrüche der Versender zu beenden?

So einfach, wie es teilweise dargestellt wird, ist ein Rx-Versandhandelsverbot nicht umzusetzen. Wir führen eine politische Diskussion darüber und es gibt durchaus Befürworter. Rechtlich, vor allem EU-rechtlich, ist es aber ein problematischer Weg. Deswegen ist ein Ansatz, die Rahmenbedingungen für den Versandhandel nachzuschärfen.

Ein Beispiel dafür ist die vorgesehene Einhaltung von Kühltransporten.

Aber hier schließt sich der Kreis: Wenn ich das jetzt neu regele, muss auch jemand die Einhaltung kontrollieren. Das ist ein Thema, das mir auch auf den Nägeln brennt und weshalb ich ordnungspolitisch nicht zufrieden bin mit der aktuellen Situation.

Bedeutet das, dass Sie eher die paritätische Stelle stärken wollen, um das Thema im Bereich der Selbstverwaltung zu lassen?

Das wäre ein Weg, mit dem ich durchaus sympathisiere. So wie es jetzt geregelt ist, finde ich es vom Ansatz her auf jeden Fall schon mal eine gute Richtung.

Auch beim Thema Nullretaxationen haben Sie Handlungsbedarf identifiziert. Was genau planen Sie diesbezüglich?

Wir wollen Nullretaxation aus formalen Gründen vollständig verbieten. Wenn nur irgendwo eine ein Häkchen fehlt oder ähnliches, eine Versorgung durch die Apotheke aber therapiegerecht stattgefunden hat, soll das nicht mehr möglich sein.

Gibt es schon Signale aus der Koalition, dass der Partner ihre Reform mittragen wird?

Die Eckpunkte bilden überwiegend den Koalitionsvertrag ab. Deshalb gehe ich davon aus, dass wir uns gemeinsam auf diesen Weg verständigen können. Und wir waren in der Koalition auch einig, dass die Erhöhung des Packungsfixums jetzt nicht kommen kann, alle anderen Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag jetzt dennoch schnell umgesetzt werden. Insofern bin ich zuversichtlich, dass unsere Vorschläge eine sehr gute Grundlage sind.

Wann dürfen wir mit einem Referentenentwurf rechnen?

Wir wollen die regierungsinterne Abstimmung noch diesen Monat starten.

Sie haben auf dem Apothekertag gesagt, dass das Skonti-Verbot „sofort“ kommen könne …

Damit war gemeint, dass diese Frage nicht wie die Erhöhung des Fixums zurückgestellt wird. Das kommt jetzt mit in diesem Paket.

Vielen herzlichen Dank für das Gespräch, Frau Ministerin.

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