Warken: "Es darf nicht vom Geldbeutel abhängen, wie ein Mensch medizinisch versorgt wird."
Im RND-Interview sprach Bundesgesundheitsministerin Nina Warken u.a. über Krankenkassenbeiträge, die Krankenhausreform und Patientensteuerung.
RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): Frau Ministerin, eine Vorgängerin von Ihnen sagte einst, in diesem Ministeramt habe man „immer die Torte im Gesicht“. Sie sind nun seit rund einem halben Jahr auf diesem Posten: Haben Sie das Gefühl, dass die Torten in Ihre Richtung fliegen?
Bundesgesundheitsministerin Nina Warken: Es ist schon so, dass es im Gesundheitsbereich wohl unmöglich ist, alle Akteure zufrieden zu stellen. Aber darum geht es auch gar nicht. Das Ziel muss sein, die medizinische Versorgung der Menschen zu verbessern. Dabei gibt es höchst unterschiedliche Interessen. Und ja, die Beteiligten bringen mitunter sehr laut ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck. Das ist gewöhnungsbedürftig, aber auch ich halte es aus. Man tritt in diesem Ressort nicht an, um Blumentöpfe zu gewinnen.
Sie haben den 74 Millionen gesetzlich Versicherten versprochen, dass es zum Jahresbeginn keine weitere Erhöhung der Krankenkassenbeiträge geben wird. Die Kassen sehen das anders. Waren Sie etwas voreilig?
Wir haben getan, was wir seitens der Politik zugesagt haben, indem wir die bestehende Lücke von zwei Milliarden Euro identifiziert und mit einem Sparpaket geschlossen haben. Diese Finanzlücke wurde ja zusammen mit den Kassen berechnet. Im Ergebnis haben wir den durchschnittlichen Zusatzbeitrag auf dem heutigen Niveau von 2,9 Prozent stabilisiert. Welchen Zusatzbeitrag die einzelnen Kassen dann aber erheben, kann die Politik nicht bestimmen. Es wird Kassen geben, die mit den Mitteln auskommen und die 2,9 oder auch weniger nehmen und welche, die höhere Einnahmen benötigen. Hier gibt es einen Wettbewerb – und das ist auch erwünscht. Mir kam es darauf an, die Spirale ständig steigender Beitragsanhebungen zu durchbrechen.
Aber genau das wird doch gar nicht gelingen. Schadet es nicht der Glaubwürdigkeit von Politik, wenn die Menschen etwas anderes erleben, als ihnen zugesagt wurde?
Wie gesagt: Wir haben getan, was wir zugesagt haben. Dieses Sparpaket war ohnehin nur der Anfang, um die finanzielle Lage zu stabilisieren. Im kommenden Frühjahr wird die Kommission für eine umfassende Reform der GKV ihre Ergebnisse vorlegen, und dann müssen wir umgehend handeln. 2027 erwarten wir ein Defizit in zweistelliger Milliardenhöhe, das wir decken müssen. Dabei soll es aber nicht nur ums Sparen gehen. Die Menschen müssen sich auch weiter auf das System verlassen können, wir wollen es aber mit grundlegenden Reformen effizienter zu gestalten. Am Ende sollen die Versicherten sagen können: Es läuft besser, ich bekomme wieder schneller einen Termin beim Arzt und fühle mich gut versorgt.
Dann lassen Sie uns konkret werden. Es gibt von den Arbeitgebern den Vorschlag, die kostenfreie Mitversicherung von Ehepartnern abzuschaffen. Ist das zumutbar?
Richtig ist, dass wir nicht nur die Ausgaben in den Blick nehmen müssen, sondern auch die Einnahmen. Wir müssen uns beispielsweise anschauen, welche Zuzahlungen schon lange nicht mehr angepasst wurden. Vieles kommt auf den Prüfstand: Auch die Mitversicherung ist ein Punkt, den die Kommission berücksichtigen und durchrechnen wird. Wir werden uns dann in der Koalition genau überlegen, welche Vorschläge wir übernehmen.
Gibt es denn so etwas wie eine rote Linie für Sie?
Mir ist wichtig, den solidarischen Gedanken unserer Gesundheitsversorgung zu erhalten. Es darf nicht vom Geldbeutel abhängen, wie ein Mensch medizinisch versorgt wird. Eine Aufteilung in eine Art Rumpftarif mit Basisleistungen und Zusatzversicherungen halte ich für sehr schwierig. Dann bestimmt das Einkommen darüber, welche Versorgung sich jemand leisten kann. Das wäre dann eine Form von Zweiklassenmedizin. Das Solidarsystem ist eine Errungenschaft, die ich nicht aufgeben will.
Worauf müssen sich die Versicherten einstellen?
Es gibt für die Kommission keine Denkverbote. Kein Bereich ist ausgenommen. Jedem muss klar sein, dass er einen Beitrag zu leisten hat – und das ist dann auch gerecht. Die Kluft zwischen Einnahmen und Ausgaben wächst stetig und ein Ende ist nicht in Sicht. Für die Versicherten heißt das unter anderem, sich besser durch das Gesundheitswesen führen zu lassen. Das geplante Primärversorgungssystem wird eine große Veränderung für die Menschen bringen. Es soll am Ende insbesondere die Wartezeiten auf einen notwendigen Facharzttermin verringern.
Wie soll das gehen? In einer empirischen Befragung der RND-Partnerzeitungen mit 25.000 Teilnehmenden haben zwei Drittel der Leserinnen und Leser angegeben, dass viele Facharztpraxen keine neuen Patientinnen und Patienten aufnehmen. Wohin sollen die Hausärzte, die es ohnehin zu wenig gibt, also steuern?
In kaum einem anderen Land der Welt können die Menschen so frei entscheiden, wie oft sie zu welchen Ärzten gehen. Das führt zu hohen Kosten durch teure Doppeluntersuchungen und zu einer ungezielten Inanspruchnahme der Fachärzte. Wir brauchen Steuerung, wobei wir natürlich aufpassen müssen, dass die Hausärzte nicht zu einem Flaschenhals werden. Deshalb ist es sinnvoll, auch eine digitale beziehungsweise telefonische Ersteinschätzung zum Beispiel über die Servicenummer 116117 zu etablieren. Die Hausärzte wollen wir auch an anderer Stelle entlasten, beispielsweise durch das Impfen in der Apotheke. Zudem wollen wir weitere Berufsgruppen mit mehr Befugnissen dem Arzt an die Seite stellen.
Wie bringen Sie die Patienten dazu, sich tatsächlich steuern zu lassen?
Es ist völlig klar, dass wir dazu ein kluges Anreizsystem brauchen. Dabei kommt ein Bonus in Frage, wenn ich mich an den Hausarztpfad halte. Oder es fällt eine extra Gebühr an, wenn ich doch direkt zum Facharzt möchte. eine derartige Steuerung wird es nicht gehen.
Kassenärzte-Chef Gassen hat einen extra Facharzttarif vorgeschlagen für Versicherte, die sich nicht steuern lassen wollen. Wäre das eine Alternative?
Mein Ziel ist weiterhin ein System für alle. Es geht um eine bessere Versorgung und nicht um das Erkaufen einer nicht notwendigen oder sachgerechten Leistung. Jeder der einen Facharzttermin benötigt, muss diesen in angemessener Zeit erhalten.
Sie hatten vorhin gesagt, kein Bereich ist ausgenommen. Beim kleinen Sparpaket haben Sie aber die Pharmaindustrie verschont, obwohl die Medikamentenausgaben stark steigen. Wollen Sie das weiter zulassen?
Die Situation ist sehr komplex. Einerseits sind innovative Medikamente ein starker Kostentreiber. Andererseits ist die Pharmaindustrie ein Wirtschaftsfaktor mit großem Zukunftspotential für Deutschland. Und hier kommt nun ein drittes Element hinzu: US-Präsident Trump will sich künftig an den niedrigsten im Ausland gezahlten Preisen orientieren. Damit kommt der Preisgestaltung hierzulande eine größere Bedeutung zu und es stellt sich die Frage, welche Medikamente dann überhaupt noch hier auf den Markt gebracht werden. Das alles müssen wir im Blick haben und Antworten finden.
Also kein Sparbeitrag?
Das habe ich nicht gesagt. In keinem Land in Europa kommen neue Arzneimittel so umfangreich und schnell in die Versorgung und werden ohne größere Zuzahlungen von der Krankenkasse bezahlt. Das ist eine Errungenschaft, die es zu erhalten gilt, aber natürlich seinen Preis hat. Dennoch müssen wir den Spagat hinbekommen, die Versorgung zu sichern, aber gleichzeitig die Kosten in den Griff zu bekommen. Dazu sind wir gerade mit der Pharmaindustrie in einen Dialog getreten. Dort werden wir eine Lösung suchen.
Ihr Koalitionspartner hat durchgesetzt, dass die Krankenhausreform nicht so stark entschärft wird wie von Ihnen – und den Ländern - ursprünglich geplant. Kommt das Gesetz nun überhaupt durch den Bundesrat?
Ich bin da sehr zuversichtlich, da das Gesetz an vielen Stellen verbessert wurde. Natürlich gibt es weitergehende Wünsche der Länder. Aber wir schaffen jetzt mehr Spielräume und mehr Zeit, damit die Länder die Auswirkungen der Reform überhaupt einmal abschätzen können. Zudem ist die finanzielle Lage vieler Krankenhäuser so angespannt, dass bereits jetzt ein Umdenken stattfindet.
Besteht nicht doch die Gefahr eines ungeordneten Kliniksterbens?
Schon jetzt ist viel Bewegung in der Branche, etwa durch Fusionen oder den Austausch von Leistungen. Durch die Reform werden die Strukturveränderungen finanziell unterstützt. Dabei wird es auch zu Umwidmungen oder Schließungen kommen. Ich bin mir aber sicher, dass die Verantwortlichen vor Ort dafür sorgen, dass es dann keine Engpässe in der Versorgung gibt. Dabei ist auch zu bedenken, dass heute zahlreiche Leistungen nicht mehr zwingend im Krankenhaus, sondern auch ambulant durchgeführt werden können.
Können Sie die Sorgen der Menschen verstehen, plötzlich kein Krankenhaus mehr vor Ort zu haben? Der Landkreistag sprach einmal von einem „Konjunkturprogramm für die AfD“.
Ich weiß aus vielen Gesprächen, dass die Menschen Verständnis dafür haben, dass wir eine größere Spezialisierung anstreben. Für planbare, komplexe Operationen gibt es eine große Offenheit, dass diese in Kliniken mit Erfahrung stattfinden, weil dort ein besseres Behandlungsergebnis zu erwarten ist. . Gleichzeitig fühlen sich Menschen aber abgehängt, wenn die Anlaufstelle vor Ort für die Basisversorgung oder den Notfall wegfällt. Wenn wir den Menschen die Sinnhaftigkeit der Reform nicht besser erklären, sorgt das für Verunsicherung und Unzufriedenheit.
Und was wollen Sie dagegen tun?
Wir müssen und können den Menschen alternative Versorgungsangebote machen. In der Krankenhausreform sind sogenannte Sektorübergreifende Versorgungszentren vorgesehen. Da sind Krankenhäuser, die stationäre Leistungen mit ambulanten und pflegerischen Leistungen verbinden. Inzwischen sehe ich bei vielen Landräten ein Umdenken, nicht mehr am defizitären Krankenhaus festzuhalten, sondern diese neue Möglichkeit ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Ich kann nur an die Länder appellieren, diesen Weg zu unterstützen.
Lassen Sie uns bitte noch eine Frage stellen zum Zustand der Schwarz-Rot: Wie nehmen Sie die Stimmung in der Koalition wahr?
Wir haben in der Koalition ein gutes Miteinander und bringen Schritt für Schritt die vereinbarten Dinge auf den Weg. Ich finde es auch nicht schlimm, wenn über große gesellschaftliche Fragen wie die Wehrpflicht länger gesprochen wird.. Was mich allerdings stört, ist die in Teilen aufgeregte Art und Weise der Debatte. Wir sollten uns noch stärker am Koalitionsvertrag orientieren und nicht nochmal und nochmal über Dinge diskutieren, die wir dort längst festgelegt haben. Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern zeigen, dass wir entschlossen handeln und die zugesagten Reformen auch umsetzen. Nicht jede weitere Runde scheint sinnvoll.