Warken: Frauengesundheit wird zum BMG Förderschwerpunkt in der Forschung

Im Interview mit dem Magazin DIE ZEIT redet Bundesgesundheitsministerin Nina Warken über ihre Schwerpunkte zur Frauengesundheit. Sie thematisiert die Benachteiligung von Frauen in der medizinischen Versorgung, den Gender Data Gap in der Forschung und die Notwendigkeit geschlechtersensibler Daten. Zudem spricht sie über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und den Mangel an Frauen in Spitzenpositionen.

11. November 2025

DIE ZEIT: Frau Warken, Sie setzen Frauengesundheit als einen Schwerpunkt Ihrer Amtszeit. Zugleich zeigen Studien, dass Männer ungesünder leben und früher sterben. Kümmern Sie sich um das falsche Geschlecht?

Bundesgesundheitsministerin Nina Warken: Natürlich dürfen wir die Gesundheit von Männern und Frauen nicht gegeneinander ausspielen. Aber wenn man in Familien genauer hinschaut, sind es sehr oft die Frauen, die für die Männer Impfungen organisieren, Vorsorgetermine vereinbaren und den Überblick behalten. Das Paradoxe ist: Frauen kümmern sich stärker – sind aber in der medizinischen Versorgung an zu vielen Stellen benachteiligt. Darüber müssen wir reden. Und wir müssen vieles überhaupt erst bekannt machen.

Was zum Beispiel?

Als wir noch in der Opposition waren, haben wir als Unionsfraktion eine Veranstaltung zu Endometriose. Die Hälfte der Abgeordneten musste erst einmal nachschlagen, was das ist. Gleichzeitig meldeten sich viele Frauen rund um dieses Fachgespräch, die selbst betroffen sind und bislang nie gewagt hatten, darüber offen zu sprechen. Die Dankbarkeit war enorm. Ähnlich ist es beim Lipödem.

… eine Fettverteilungsstörung, die schmerzhaft sein kann und fast ausschließlich Frauen betrifft. Vieles rund um die Erkrankung ist noch unerforscht.

Oder nehmen Sie die Menopause. Zu viele Frauen ziehen sich in dieser Phase vorzeitig aus dem Arbeitsmarkt zurück. Das ist auch ein ökonomisches Thema. Wir brauchen die Arbeitskraft dieser gut ausgebildeten Frauen.

Ist Frauengesundheit für Sie also mehr ein wirtschaftliches als ein feministisches Anliegen?

Es ist beides, aber das Selbstwertgefühl von Frauen hat da natürlich Priorität. Als ich ins Amt kam, sagten viele Frauen zu mir: "Jetzt kannst du endlich all diese Themen angehen." Es gab eine andere Erwartung an mich als Frau. Aber zugleich ist jedes einzelne Kabinettsmitglied in seinem jeweiligen Bereich für den Aspekt Frauenpolitik verantwortlich. 

Wo sehen Sie die größten Probleme?

Uns fehlen Daten! Es sagt viel aus, dass es erst seit 2004 überhaupt verpflichtend ist, Frauen in klinischen Studien zu einem bestimmten Anteil einzubeziehen. Der weibliche Körper ist nun einmal anders. Das wurde lange nicht berücksichtigt. Diese Lücke des sogenannten Gender Data Gap ist riesig. Man sieht das beim Herzinfarkt: Der äußert sich bei Frauen häufig anders, aber das wissen immer noch viel zu wenige. Deshalb wird er bei Frauen oft zu spät erkannt. Und das zieht sich durch viele Bereiche der Medizin. Vor Kurzem konnte ich der Öffentlichkeit das neue Forschungsdatenzentrum vorstellen. Mit pseudonymisierten Daten können Wissenschaftler gezielt geschlechtersensible Fragen untersuchen und erhalten dafür passende Daten als Grundlage. Dadurch ermöglichen wir eine viel größere Datenbasis. Das ist ein riesiger Schritt für die Forschung.

Der aktuelle Herzbericht zeigt: Männer haben häufiger Infarkte. Kaum erwähnt wird, dass Frauen prozentual häufiger daran sterben. Ist dieser Umgang symptomatisch für Deutschland?

Warken: Es ist für mich schon erstaunlich, dass das nicht zum Thema gemacht wird. Aber es zeigt, dass wir dafür deutlich stärker sensibilisieren müssen.

Wie?

Ein ganz praktisches Beispiel: Es gibt inzwischen Reanimationspuppen mit weiblichem Brustkorb. Man hat festgestellt, dass Ersthelfer bei Frauen eine größere Hemmung haben, die Herzdruckmassage zu machen. Wenn man das aber an einem Frauentorso übt, wird es selbstverständlich.

Aber noch immer werden etwa Medikamente falsch dosiert, weil der Mann über Jahrhunderte als der medizinische Standard galt und Studien häufig nicht so konzipiert sind, dass geschlechtsspezifische Effekte verlässlich untersucht werden.  

Ich spreche das überall an – bei denen, die Studien verantworten oder künftig verantworten werden. Und wir werden in der Ressortforschung meines Hauses Frauengesundheit zu einem Förderschwerpunkt machen, um geschlechterspezifische Ansätze zu unterstützen.

Bedeutet das, dass Forschungseinrichtungen künftig nur noch Geld bekommen, wenn sie nach Geschlecht auswerten?

Nein, so pauschal nicht. Es geht um Forschungsvorhaben, die wir als Bundesministerium fördern können, um daraus für unsere Politik die notwendigen Schlüsse zu ziehen. Dafür haben wir einen Millionenbetrag vorgesehen. Man wird sich mit Vorhaben bewerben können, die geschlechtsspezifische Forschung oder Frauengesundheit voranbringen.

Fehlt die weibliche Perspektive auch deshalb, weil Frauen an Unikliniken kaum Spitzenpositionen haben? Zwei Drittel der Medizinstudierenden sind Frauen, aber nur rund 14 Prozent schaffen es an die Spitze.

Warken: Die Besetzung von Spitzenpositionen ist grundsätzlich ein hartnäckiges Problem. Dabei wäre es auf jeden Fall wichtig, auch in diesen Bereichen mehr Frauen an verantwortungsvoller Stelle zu haben. Überall wird bedauert, dass es nicht so ist, aber eine richtige Lösung hat niemand.

Haben Sie eine?

Warken: Es bräuchte an erster Stelle mehr Verbindlichkeit beim Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Gleichzeitig ist es so, dass manche Frauen aus verschiedenen Gründen diesen Weg gar nicht gehen möchten. Am Ende müssen beide Seiten wollen, und dafür müssen die Rahmenbedingungen stimmen.

Würden Sie eine Quote unterstützen?

Warken: Mehr Verpflichtung fände ich schon wichtig. Dafür müssen wir uns über eine Form von Vorgaben unterhalten, Selbstverpflichtungen oder spezifische Förderpläne etwa. Das würde ich einer starren Quote vorziehen.

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