Lauterbach zuversichtlich: Krankenhausreform steht bis Sommer

Zum Auftakt der Verhandlungen zur Krankenhausreform zeigt sich Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach zuversichtlich, dass Bund, Länder und Regierungsfraktionen konstruktive Ergebnisse erzielen werden. „Ich bin überzeugt davon, dass wir uns bis Sommer auf Eckpunkte für eine gute Reform einigen werden“, sagte Lauterbach am 23.02.2023 im Interview mit dem Handelsblatt. Das Kliniksystem müsse geändert werden, um flächendeckend eine qualitativ hochwertige stationäre Versorgung zu gewährleisten.

23. Februar 2023

Handelsblatt: Herr Minister, Sie versprechen mit Ihrer Klinikreform eine optimale Gesundheitsversorgung der Bürger, gleichzeitig sollen Krankenhäuser schließen. Wie passt das zusammen?

Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach: Bei der Reform geht es nicht um Schließungen. Dafür braucht man keine Reform, die Welle der Schließungen hat sowieso schon begonnen… Ohne Reform stünden eine Menge Krankenhäuser schon schnell vor dem Aus. Mit Reform haben sie dagegen eine Chance. Viele Kliniken haben in den vergangenen Jahren nur wegen der Corona-Hilfen durchgehalten. Diese Hilfen sind nun aber ausgelaufen. Außerdem fehlen den Krankenhäusern häufig Personal und teilweise sogar Patienten. Das Krankenhaussterben ohne Reform würde wie folgt ablaufen: zu wenig Personal, daher weniger Fälle, daher weniger Budget, daher noch weniger Personal. Und dann von vorne. Wir geben diesen bedrohten Häusern eine Perspektive.

Sie selbst sagen aber, dass Deutschland zu viele Kliniken hat. Wie viele werden nach Ihrer Reform übrigbleiben?

Das hängt von den Ländern ab. Sie behalten die Planungshoheit, können sagen, wo welches Krankenhaus welche Funktion hat. Es wird künftig Universitätskliniken und Kliniken der Maximalversorgung für eine sehr hochwertige Versorgung geben und eine deutlich größere Zahl an Einrichtungen auf der mittleren Stufe, Level 2, die z.B. auch eine erweiterte Notfallversorgung, ein Leistungsspektrum vieler chirurgischer Spezialbereiche und von Unterbereichen der Inneren Medizin anbieten. Somit sind die Level-2-Krankenhäuser personell und auch durch Technologie und Erfahrung das Rückrat der Versorgung vor Ort, bieten sehr gute Qualität und gute Erreichbarkeit.  Auch die kleinen Krankenhäuser für die Basisversorgung haben wichtige Aufgaben. Sie können sich in Zukunft auf das konzentrieren, was sie objektiv leisten können. Insgesamt muss die Qualität der Versorgung für die Krankenhausplanung wieder ausschlaggebend werden und nicht der Bestandsschutz. Heute werden in kleinen, nicht optimal geeigneten Krankenhäusern auch Behandlungen gemacht, für die größere Krankenhäuser geeigneter wären.  

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft warnt, dass mehr als jede zweite Klinik kaum mehr Leistungen anbieten dürfte – und fürchtet einen Kahlschlag. Das sagen auch Betreiber.

Das verstehe ich. Aber die Reform soll dazu führen, dass kleinere Kliniken keine komplizierten Eingriffe mehr erbringen müssen, um sich finanziell über Wasser halten zu können. Im Gegenzug erhalten sie eine Vorhaltepauschale, mit der sie auch ohne diese Eingriffe über die Runden kommen und sich auf die leichten Routinefälle konzentrieren. Sie bekommen also Geld, um Personal und Ausstattung vorzuhalten.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Allein in Berlin gibt es mehr als 20 Kliniken, die Patienten mit Bauchspeicheldrüsenkrebs operieren, aber nur sieben davon sind zertifizierte Krebskrankenhäuser. In zertifizierten Häusern haben Patienten aber eine höhere Wahrscheinlichkeit, eine solche Operation zu überleben. Die haben mehr Erfahrung, ein besseres Team und eine bessere Ausrüstung, teurere Geräte. Eine Reform muss dazu führen, dass einige nicht spezialisierte Häuser diese Eingriffe nicht mehr anbieten. Die Verlustängste der Krankenhäuser sind zwar nachvollziehbar. Aber wenn wir hier nicht eingreifen, verhindern wir eine bessere Qualität in der Versorgung. Mit dem Personalmangel können wir nicht in fast jeder Klinik auch komplizierte Eingriffe machen.

In Berlin gibt es genug Auswahl, auf dem Land sieht es aber anders aus. Wie wollen Sie einem 80-jährigen Rentner in Brandenburg erklären, dass sein Krankenhaus um die Ecke mit Ihrer Reform nicht mehr alles machen darf?

 Das soll nicht zynisch klingen: Aber wenn ich den Rentner frage, ob er seine OP mit 50prozentiger oder 80prozentiger Wahrscheinlichkeit überleben möchte, könnte ich mir vorstellen, wie er sich entscheidet. Und genau diese Entscheidung müssen wir vorher treffen, damit die Strukturen und insbesondere die Qualität stimmen, wenn der Rentner sie braucht. Außerdem rettet die Reform wahrscheinlich das Krankenhaus beim Rentner „um die Ecke“. Denn diesen  kleinen Häusern droht ohne Reform ein flächendeckender Exodus, weil sie immer weniger Eingriffe vornehmen können und dadurch geringere Einnahmen erzielen. Außerdem haben sie, wie gesagt, bald zu wenig Personal. Im Moment wird das noch mit Gastärzten aus vielen ärmeren Länder ausgeglichen. Daher wird im OP oft nur Englisch gesprochen – oft kein perfektes Englisch. Lange geht das Ganze nicht mehr gut. Deswegen müssen diese Häuser schrumpfen – auf das verzichten, was sie nicht gut genug können.

Wäre dann auch Schluss mit den vielen Hüft- und Knie-OPs? Hier ist Deutschland Spitze in der EU.

Das liegt daran, dass die kleineren Häuser gezwungen sind, mit solchen Operationen über die Runden zu kommen. Das sind für viele Krankenhäuser Cash-Cow-Eingriffe mit einem positiven Deckungsbeitrag. Ich will diese Häuser mit der Vorhaltepauschale finanziell so gut ausstatten, dass sie nur noch medizinisch notwendige Operationen machen müssen. Die Flut an Hüft- und Kniegelenk-Operationen muss ein Ende haben. Auch Herzklappen operieren wir in Deutschland mehr als jedes andere Land in Europa.

Am Donnerstag beraten Sie sich mit den Gesundheitsministern der Länder über die nächsten Reformschritte. Was sind Ihre Erwartungen?

Das Treffen am Donnerstag ist Auftakt für eine Reihe von Gesprächen in dieser Zusammensetzung. Die Vorbereitungen auf Fachebene zwischen Bund, Ländern und Regierungsfraktionen geben mir Grund für Zuversicht. Ich bin überzeugt davon, dass wir uns bis Sommer auf Eckpunkte für eine gute Reform einigen werden. Die Analyse teilen alle bereits heute: So wie jetzt kann es nicht weitergehen. Wir haben es mit der Ökonomisierung der Medizin übertrieben. Das müssen wir zurückdrehen. Dafür definieren wir Leistungskomplexe und Versorgungsstufen (Level). Die Länder ordnen die Krankenhäuser diesen Leveln zu, konzentrieren die schwierigen Eingriffe auf wenige Standorte. Und wenn Krankenhäuser die Bedingungen für bestimmte Level nicht erfüllen, muss das auch Konsequenzen haben.

So gut läuft es ja aber nicht, ursprünglich wollte Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek nicht teilnehmen. Er spricht von “unausgegorenen Reformvorschlägen“.

Er kommt nun doch. Ich freue mich darüber. Ich habe am Samstag mit ihm gesprochen und ihm erklärt, dass er grundsätzlich eine Chance verpasst hätte, die Reform mitzugestalten. Es ist besser, wenn jedes Bundesland an den Gesprächen teilnimmt – denn die Reform kommt sowieso.

Ein Grund für die Lage der Kliniken ist auch, dass die Länder mehr als 50 Milliarden Euro weniger in Krankenhäuser investiert haben, als sie eigentlich müssten. Wie wollen Sie die Länder bewegen, daran etwas zu ändern?

Durch die Logik der Reform. Wer nicht investiert, riskiert, dass seine Krankenhäuser dann weniger Geld erhalten und schließen müssen. Das ist weder im Interesse der Länder noch im Interesse der Kommunen. Sie werden in die Strukturrefom investieren – da bin ich sicher. Das macht die Krankenhausversorgung besser und sichert gleichzeitig die Existenz vieler Kliniken.

Wie wollen Sie das sicherstellen?

Zunächst behalten die Länder nicht nur das Recht, die Krankenhäuser zu planen, sondern sie haben auch die Pflicht, in die Krankenhäuser zu investieren. Ich bin überzeugt: Am Ende wird die Vernunft siegen. Wir werden uns darauf einigen, das Investitionsdefizit zu schließen. Sonst haben die Krankenhäuser weiterhin ein finanzielles Problem.

Wie teuer wird die Reform? Die Rede ist von bis zu 100 Milliarden Euro.

Ich halte von diesen Berechnungen nicht viel. Ich wüsste auch nicht, wofür dieses Geld ausgegeben werden sollte. Die Finanzierung der Reform erfolgt im Wesentlichen über die Fall- und Vorhaltepauschalen. Krankenhäuser können die Fallzahlen reduzieren und bekommen trotzdem ihr Budget.

Als Beispiel wird oft Dänemark herangezogen, das rund 1000 Euro pro Kopf für eine vergleichbare Reform ausgegeben hat.

Die dänische Reform ist nicht identisch mit unserer. Mit dem Geld wurden dort unter anderem neue, spezialisierte Kliniken aufgebaut. Wir haben ja aber zum Glück große und sehr gut ausgestattete Krankenhäuser.

Die Kosten könnten dafür entstehen, Standorte zusammenzulegen. Das sagt auch der Gesundheitsökonom Boris Augurzky, Mitglied Ihrer Reformkommission.

Es ist natürlich so, dass Länder, Kommunen und Träger dafür in ihre Krankenhäuser investieren müssen. Wenn das bei Standorten nicht geschieht, die aber dringend benötigt werden – dann müssen wir über Alternativen nachdenken. Das ist ja keine Frage.  

Haben Sie schon mit Finanzminister Lindner gesprochen, wo das Geld dafür herkommen soll?

Wir sind noch am Anfang der Reform. Ich werde das mit ihm besprechen, sobald es einen Anlass dafür gibt.

Der Finanzminister will Ihnen zumindest auch für andere Projekte kein Geld geben, etwa für die Pflegereform oder die marode gesetzliche Krankenversicherung. Mit welchem Defizit in der GKV rechnen Sie für das kommende Jahr?

Das kann ich noch nicht abschätzen. Wir sind im Austausch mit den Krankenkassen, die die Berechnungen machen. Der Finanzminister legt seinen Schwerpunkt auf die Einhaltung der Schuldenbremse und auf Projekte wie die Aktienrente und die Bundeswehr. Dann lassen sich steigende Lohnzusatzkosten kaum vermeiden. Ähnlich ist es bei der Pflege. Die Alternative wäre, dass wir immer mehr Menschen mit der Pflege überfordern. Das kann keiner wollen.

Die 40-Prozent-Marke bei den Sozialversicherungsbeiträgen ist bereits gefallen, die GKV-Beiträge mussten bereits in diesem Jahr auf ein Rekordhoch steigen. Wo ist das Ende der Fahnenstange?

Ohne Bundeszuschuss sehe ich im Moment keine Alternative, als die Krankenkassen über die Beiträge zu stützen. Sonst müssten wir noch stärkerer Einschnitte vornehmen als im vergangenen Jahr. Das wird auch der Koalitionspartner im Finanzministerium kaum wollen. Weitere harte Einschnitte bei den Pharmafirmen sind nicht mehr vertretbar. Sonst könnten die Firmen gezwungen sein,  Deutschland zu verlassen. Auch Honorarkürzungen bei den Ärzten und Zahnärzten halte ich für schwierig. Hier haben wir in der Reform im letzten Jahr bereits die Effizienzreserven gehoben. Deshalb dürften hier Honorarkürzungen auch im Sinne des Koalitionsfriedens obsolet sein. Und geradezu absurd wäre es, bei den Kliniken zu streichen.

Wenn die Beiträge aber immer weiter steigen, wird Arbeit immer teurer. Auch das gefährdet Arbeitsplätze – und kann nicht im Sinne der Bundesregierung sein.

Ich verhandle deswegen weiter mit dem Finanzminister. Vielleicht gelingt es ja, dass sich der Bund stärker an den Kosten für Bürgergeld-Empfänger beteiligt, die den Krankenkassen entstehen. Das haben wir im Koalitionsvertrag so festgehalten und würde die Kassen um bis zu elf Milliarden Euro pro Jahr entlasten.  

Selbst das könnte nicht ausreichen. Der Verband der Ersatzkassen erwartet ein Defizit von 30 Milliarden plus x. Die Beitragssätze müssten dann um zwei Prozentpunkte steigen.

Ein so hohes Defizit kann ich nicht bestätigen. Das ist definitiv falsch.

Selbst wenn es auf die Hälfte rauskommt, wäre der Beitragssprung immer noch ein Rekord.

Auch das ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht meine Prognose. Wir arbeiten daran, dass das Defizit geringer ausfällt. Das gehört zu den vielen Dingen, die in den vergangenen Legislaturperioden liegengeblieben sind und nun auf der Agenda stehen. Dazu gehört neben der Klinik- und der Pflegereform auch der Neustart bei der Digitalisierung. Der wollen wir einen Schub verleihen. Wir werden dafür sorgen, dass die elektronische Patientenakte endlich bei den Patienten und in den Arztpraxen ankommt. Dadurch ließe sich endlich verhindern, dass immer noch viele Informationen auf dem Faxweg verloren gehen oder dass ein Patient Arzneimittel von verschiedenen Ärzten verschrieben bekommt, die er nicht miteinander kombinieren darf.  Noch wichtiger, wenn die Daten des Patienten in der elektronischen Patientenakte sind, wird die Medizin besser. Fehlende Information führt zu Fehlentscheidungen.

Da können Sie ja froh sein, dass die Corona-Krise vorbei ist.

Ich bin froh, dass der Höhepunkt der Krise KLAR hinter uns liegt. Wir sind in der endemischen Phase. Vergessen dürfen wir aber nicht die vielen Patienten mit Langzeitfolgen. Diese Menschen brauchen Unterstützung. Und zum Schutz älterer und immungeschwächter Mitbürger müssen wir weiter achtsam bleiben. Aber die Situation ist natürlich nicht zu Vergleichen mit der vor einem Jahr. Die Angst vor neuen, sehr gefährlichen Wellen, die ist vorbei.

Eine Studie warnt vor immer mehr Sozialhilfe-Empfängern unter Pflegeheimbewohnern. Kann Ihre Pflegereform daran etwas ändern? 

Ja. Wir werden die Pflegeheimbewohner weiter entlasten – und zwar beim pflegebedingten Eigenanteil. Übrigens ist dieser Teil der Heimkosten bereits durch einen ersten Reformschritt gesunken, den wir Anfang 2022 gegangen sind. Bereits da haben wir angefangen, die Pflegebedürftigen je nach Dauer ihres Heimaufenthalts zu unterstützen. Dadurch ist die Zahl der Sozialhilfeempfänger in den Heimen gesunken. Aber sie ist immer noch viel zu hoch.   

Vielen Dank für das Gespräch.

Hinweis
Sehr geehrte Damen und Herren, Sie nutzen leider eine Browser-Version, die nicht länger vom Bundesgesundheitsministerium unterstützt wird. Um das Angebot und alle Funktionen in vollem Umpfang nutzen zu können, aktualisieren Sie bitte ihren Browser auf die letzte Version von Chrome, Firefox, Safari oder Edge. Aus Sicherheitsgründen wird der Internet Explorer nicht unterstützt.