Spahn: „Impfungen vermeiden Schmerz und Leid“

"Die geplante Impfpflicht soll alle Kinder davor schützen, sich mit Masern zu infizieren." Bei Missachtung drohen Bußgelder in Höhe von bis zu 2500 Euro. Jens Spahn sprach mit Roman Eichinger und Miriam Hollstein in der BILD am Sonntag vom 05. Mai 2019.

BILD am SONNTAG: Herr Spahn, sind Sie eigentlich gegen Masern geimpft?

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn: Ich habe alle empfohlenen Schutzimpfungen. Wirklich alle.

Also sind Sie eher der vorsichtige Typ?

Ja. Impfungen vermeiden Schmerz und Leid. Ich habe kürzlich meinen Impfstatus gecheckt und einige nötige Auffrischungen, etwa gegen Tetanus und Diphtherie, bekommen. Ich bin jetzt sogar gegen Zeckenbisse geimpft. Gerade bin ich dabei, meinen Mann zu überzeugen, noch ein, zwei Impfungen mehr zu machen.

Gegen Masern wollen Sie jetzt eine Impfpflicht einführen. Ihr Gesetz ist fertig. Was steht drin, wer ist betroffen?

Wir wollen alle Kinder davor schützen, sich mit Masern zu infizieren. Deswegen sollen alle, die eine Kita oder Schule besuchen, gegen Masern geimpft sein. Wer dort neu aufgenommen wird, muss das nachweisen. Wer dort schon jetzt betreut wird, muss den Nachweis bis zum 31. Juli nächsten Jahres nachreichen. Alle Eltern sollen sicher sein können, dass ihre Kinder nicht von anderen mit Masern angesteckt und gefährdet werden.

Was ist mit Erziehern und Lehrern?

Die müssen ebenfalls geimpft sein. Auch das Personal in medizinischen Einrichtungen wie Krankenhäusern oder Arztpraxen muss die Impfung nachweisen oder beweisen, die Krankheit bereits durchlitten zu haben und damit immun zu sein. Das schützt die Patienten.

Wie sieht der Nachweis aus?

Entweder durch den Impfpass oder eine Impfbescheinigung. Wer aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden kann, muss auch das mit einer ärztlichen Bescheinigung nachweisen.

Warum haben Eltern nicht mehr die Freiheit, selber zu entscheiden, was für Ihr Kind gut ist?

In einem freien Land muss ich mich darauf verlassen können, dass mich mein Gegenüber nicht unnötig gefährdet. Auch das ist eine Bedingung für Freiheit. Masern sind höchst ansteckend und haben häufig schwerwiegende Folgen: Lungen- oder Gehirnentzündung, manchmal sogar den Tod. Kürzlich wurde über einen Jugendlichen berichtet, der sich als Säugling im Wartezimmer angesteckt hat und über ein Jahrzehnt später an den Folgen gestorben ist. Diesen tragischen Tod hätte eine Impfung verhindern können. Kein Kind in Deutschland müsste an dieser Krankheit sterben.

Was passiert mit den Schulkindern, die keine Impfung haben und bei denen sich die Eltern weigern, sie impfen zu lassen. Setzen Sie dann die Schulpflicht außer Kraft?

Nein, die Schulpflicht gilt natürlich. Aber wer sein Kind nicht impfen lässt, dem drohen Bußgelder in Höhe von bis zu 2500 Euro. Die würden durch die Gesundheitsämter veranlasst.

Und bei den Kitas?

Da es keine Kita-Pflicht gibt, werden dort Kinder ohne Impfschutz ausgeschlossen. Schließlich sind in Kitas auch Kinder unter 10 Monaten, die noch nicht geimpft werden dürfen und damit besonders gefährdet sind.

In Deutschland sind 93 Prozent der Kinder schon jetzt durchgeimpft, haben also die notwendige zweite Masernimpfung. Warum dieser Aufwand für eine so kleine Gruppe?

Weil diese kleine Gruppe entscheidend ist. Und weil es in manchen Regionen – wie zum Beispiel in Baden-Württemberg – deutlich mehr Ungeimpfte gibt als im Bundesdurchschnitt. Ich will die Masern ausrotten. Aber dafür müssen nicht 93, sondern mindestens 95 Prozent zwei Masernimpfungen haben. Diese Quote erreichen wir trotz aller Kampagnen und guten Appelle einfach nicht. Impfen ist eine der größten Errungenschaften der Menschheit. Wir haben Infektionskrankheiten quasi ausgerottet, die in früheren Generationen viele Millionen Menschen dahingerafft haben.

Wie teuer wird Ihre Impfpflicht?

Für den einzelnen entstehen keine Kosten. Das zahlen die Krankenkassen. Die Masern-Impfung kostet rund 60 Euro. Eine Maserninfektion mit möglichen Folgeerkrankungen ist dagegen ein Vielfaches teurer. Aber diese Rechnung sollten wir nicht aufmachen. Denn darum geht es nicht. Es geht vielmehr um gesellschaftliche Verantwortung. Masern-Impfungen ersparen menschliches Leid. Wir schützen uns und andere. 

Für die Pharmaindustrie sind Impfungen zweifelsohne ein Riesengeschäft.

Das stimmt so nicht. Die Kosten für alle Schutzimpfungen machen nur 0,6 Prozent an den Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung aus. Aber das sollte eh nicht die Frage sein. Sondern: Wie können wir Leid verringern?

Grundgesetz Artikel 2 garantiert die körperliche Unversehrtheit. Wie lässt sich das mit einer Zwangsimpfung vereinbaren?

Es gab bereits mal eine Impfpflicht – und zwar gegen Pocken. Die wurden übrigens ausgerottet. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Impfpflicht damals als mit dem Grundgesetz vereinbar angesehen. Wenn jemand, der Masern hat, in einem Raum niest, schwirren die Viren noch ein bis zwei Stunden im Raum und können andere anstecken. Wenn ich mit Ihnen zusammensitze, mit Ihnen Zug fahre oder fliege, muss ich in einem freien Land darauf vertrauen können, dass ich nicht von Ihnen unnötig in Gefahr gebracht werde.

Die Impfkritiker sind eine sehr lautstarke Minderheit. Sie behaupten etwa, Impfen könne zu Autismus führen. Sind die Impfgegner alles Spinner?

Spinner ist der falsche Begriff, aber Impfgegner verbreiten jede Menge Fake News. Die Autismus-Studie ist mehrfach widerlegt, der Autor hat seine ärztliche Zulassung verloren. Wir müssen jeden Einwand ernst nehmen, aber am Ende geht es um Fakten und nicht um Glauben. Viele vergessen auch einfach einen Impftermin oder eine Auffrischung.

Sie wollen aber doch nicht bestreiten, dass es auch Impfschäden geben kann?

Wissenschaftlich sind die Risiken einer Impfung um ein Vielfaches geringer als die Risiken einer Erkrankung. Das gilt besonders bei Masern. Im übrigen: Die sehr seltenen Impfschäden werden gesetzlich entschädigt.

Die Durchimpfungsrate bei Kindern ist höher als bei Erwachsenen. Warum dann keine Impfpflicht für alle?

In Kitas, Schulen und medizinischen Einrichtungen kommen Menschen, die oft immungeschwächt sind,  täglich in engen Kontakt miteinander. Dort müssen alle geimpft sein. Alle 82 Millionen Bürger per Gesetz zu impfen, wäre ein Schritt zu weit. Außerdem: Wie soll das durchgesetzt werden, wer sollte das wie kontrollieren?

Bis wann soll das Gesetz in Kraft treten?

Möglichst rasch. Ich rechne noch in diesem Jahr mit einer Entscheidung des Bundestages.

Wer darf impfen?

Alle Ärzte. Es geht darum, jeden Arztbesuch zu nutzen, um den Impfstatus zu überprüfen und zu impfen. Auch der öffentliche Gesundheitsdienst sollte dabei eine stärkere Rolle übernehmen. Er könnte an Schulen und Kitas Impfungen anzubieten.

Unterstützt die Bundeskanzlerin Ihren Gesetzesvorschlag?

Davon gehe ich stark aus. Schließlich gibt es einen Beschluss des Bundesparteitags der CDU, der noch eine viel weitreichendere Impfpflicht vorsieht. Es gibt in der Koalition eine breite Unterstützung. Ich freue mich, dass Familienministerin Franziska Giffey wie ich eine Impfpflicht und klare Konsequenzen bei einer Impfverweigerung fordert. Selbst die FDP und viele grüne Landesminister befürworten eine Impflicht.

Der Verein "Ärzte für eine individuelle Impfentscheidung" hat eine Online-Petition gegen eine Impfpflicht gestartet. Fast 60.000 Menschen haben schon unterschrieben. Wie wollen Sie die Bevölkerung von Ihrem Vorhaben überzeugen, wenn Sie nicht einmal die Ärzteschaft geschlossen auf Ihrer Seite haben?

Mein Eindruck ist, dass die Mehrheit der Ärzte und Ärztinnen nicht nur das Impfen an sich, sondern auch eine Impflicht unterstützt. Zuletzt hatte sich Ärztepräsident Montgomery entsprechend geäußert. Aber wie bei allen Bürgern gibt es auch bei den Ärzten unterschiedliche Meinungen. Das finde ich okay.

Mit dem Gesetz schaffen Sie Fakten.

Das ist bei jedem Gesetz so. Entscheidend ist doch, dass die Impflicht eine breite parlamentarische und gesellschaftliche Unterstützung bekommt. Es geht hier nicht nur um das einzelne Elternrecht, sondern um die Freiheit und den Schutz der Gemeinschaft, um die Allerkleinsten, die bis zum Ende des 1. Lebensjahrs gar nicht geimpft werden können und deshalb besonderen Schutz brauchen.

Ein Vergleich mit anderen EU-Ländern zeigt: Deutschland hat teilweise eine höhere Durchimpfungsrate als Länder, die auf eine Pflicht setzen.

Es gibt Länder mit einer Wahlpflicht, die trotzdem eine geringere Wahlbeteiligung haben als wir. Eine Pflicht allein reicht nicht aus, man muss sie auch durchsetzen. Und man muss darüber auch informieren. Diese Aufgabe soll die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung übernehmen. Die Impfpflicht kommt im Gesamtpaket mit Aufklärung und Information.

Sie sind kürzlich bei einem Auftritt von zwei halbnackten Femen-Aktivistinnen attackiert worden. Grund des Protests war die von Ihnen geplante Studie über die psychischen Folgen von Abtreibungen. Die sind aber schon hinlänglich erforscht. Haben Sie keine wichtigeren Projekte?

Eine Abtreibung ist immer eine schwierige Konfliktsituation. Diese Entscheidung macht sich keine Frau leicht. Deshalb wollen wir besser verstehen, wie es den Frauen in dieser schwierigen Situation geht und wo  bessere Beratung oder mehr Hilfe nötig sind.

Viele Frauen fürchten, dass damit die Ächtung von Abtreibung zunimmt und sie nicht mehr frei entscheiden können.

Diese Sorge kann ich nehmen. Die Studie ist ergebnisoffen. Wir machen eine wissenschaftliche Untersuchung, die helfen soll, die Situation für Schwangere in Konfliktsituationen zu verbessern.

Bleibt Angela Merkel Kanzlerin bis 2021?

Die Bundeskanzlerin hat gesagt, dass sie bis 2021 antritt. Für diesen Zeitraum ist sie im Übrigen auch gewählt. Deswegen gehe ich davon aus.

Merken Sie bei ihr eine gewisse Amtsmüdigkeit?

Nein, ganz im Gegenteil.

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