„Vorreiter sein – nicht Bremser“

Gastbeitrag des Bundesgesundheitsministers Jens Spahn im Focus (19/2018)

Der Besuch beim Arzt – für viele Patienten ist das mehr als nur eine Behandlung oder die Lösung eines Problems. Der Besuch beim Arzt verspricht vielmehr Zuwendung, menschliche Wärme, persönlichen Kontakt. Und für Ärzte ist es umgekehrt wichtig, ihre Patienten mit allen ihren fünf Sinnen zu ERfassen. Auch, indem sie ANfassen, abtasten.

Aber brauchen Mediziner wirklich den Einsatz aller fünf Sinne für jede Behandlung und jedes Gespräch? Mir sagen Ärzte, das sei längst nicht immer so. Zumal dann, wenn es sich, wie in über der Hälfte aller Arztbesuche, um einfache Fragen handelt oder klärende Gespräche. Und deshalb stimmt es mich zuversichtlich, dass der Deutsche Ärztetag in der kommenden Woche in Erfurt darüber diskutieren wird, ob das so genannte Fernbehandlungsverbot gelockert werden kann.

Es geht darum zu entscheiden, ob wir in Zukunft mehr Arztgespräche übers Internet zulassen. Videosprechstunden, die das persönliche Gespräch zwischen Arzt und Patient erlauben, aber dafür nicht einen ersten, direkten Kontakt voraussetzen. Bislang ist eine ausschließliche ärztliche Beratung über Kommunikationsmedien wie dem Internet oder auch telefonisch in der Musterberufsordnung der Ärzte nicht vorgesehen. Künftig könnte sie „im Einzelfall“ erlaubt sein – wenn der jeweilige Arzt das für ausreichend hält.

Ich halte diese ausgewogene Lösung für richtig. Onlinebehandlungen sollten erleichtert werden - auch für den Erstkontakt zwischen Arzt und Patient. Dafür gibt es gute Gründe. Zunächst prinzipielle: Die Digitalisierung aller Lebensbereiche ist in vollem Gange. Wir stoppen sie nicht, indem wir sie ignorieren. Wir profitieren allerdings, indem wir sie gestalten. Und das können wir nur, wenn wir Vorreiter sind und nicht Bremser. Zumal viele Bürger Online-Angebote für ihre Gesundheit so oder so nutzen werden. Die Frage ist, ob diese von Google & Co aus dem Ausland gesteuert werden, oder unsere Ärzte selbst am Steuer sitzen. Im Gesundheitsministerium wird deshalb eine neue Abteilung für Digitalisierung und Innovation diese Entwicklung unterstützen, wo es geht. Mein Ziel ist, dass die elektronische Gesundheitskarte, die Telemedizin, die Digitalisierung überhaupt die Dinge im Alltag für Patienten, Ärzte und Pfleger spürbar besser macht und erleichtert. Gleichzeitig lässt sich die Qualität der Arbeit so noch erhöhen.

Das ist konkret bei der Onlinebehandlung ohne Zweifel der Fall. Sie löst Alltagsprobleme, etwa in unterversorgten, teils sehr ländlichen Gebieten, in denen schnelle Arztkontakte sonst nur schwer möglich sind. Aber auch in Ballungszentren ersparen Online-Videosprechstunden Wege und Wartezeit. Und den Ärzten bleibt so mehr Zeit für die Behandlungen, bei denen unmittelbarer Kontakt besonders nötig ist.

Trotz aller Begeisterung für die Digitalisierung: Sie wird nicht alle unsere Probleme im Gesundheitssystem lösen. Aber sie kann helfen, sie zu lindern. Wichtig ist mir, dass auch mit der Einführung von Online-Sprechstunden der direkte Kontakt zwischen Arzt und Patient der Goldstandard der Gesundheitsversorgung bleibt. Deshalb wird auch der Arzt individuell und situationsbezogen entscheiden müssen, ob eine Videosprechstunde ausreicht, um seinen Patienten richtig zu versorgen. Oder ob er ihn dafür eben doch persönlich sehen muss. Nur er hat die Erfahrung, diese Frage zu beantworten. Und diese Verantwortung kann ihm auch niemand nehmen.

Ich begrüße ausdrücklich, dass die Ärzte konstruktiv und offen diskutieren, wie sie die Digitalisierung zur besseren Versorgung ihrer Patienten nutzen können. Und ich freue mich über erste Erfahrungen mit umfassenden Online-Sprechstunden – wie sie etwa in Baden-Württemberg oder Schleswig-Holstein gesammelt werden.

Es wäre sicher im Sinn der Patientinnen und Patienten, wenn die Ärzte beim kommenden Ärztetag mehr Möglichkeiten für Erfahrungen dieser Art eröffnen.

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