Spahn: "Das Prinzip lautet: Nicht App statt Arzt, sondern Arzt und App."

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn diskutiert mit E-Health-Unternehmer Daniel Nathrath im Handelsblatt über Apps auf Rezept und den Schutz von Patientendaten.

Handelsblatt: Herr Minister, welches E-Health-Angebot nutzen Sie persönlich?

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn: Ich nutze einen Schrittzähler, das ist allerdings keine Gesundheits-App im Sinne unseres Gesetzes. Aber wenn ich von einer interessanten App lese, lade ich sie mir herunter und teste sie ein bisschen. Es gibt richtig gute Apps, die Patienten im Alltag helfen können.

Und Sie, Herr Nathrath?

Daniel Nathrath: Ich nutze natürlich unsere App, nicht nur aus beruflichen Gründen. Ansonsten bin ich in einer ähnlichen Situation wie der Minister: Ich bin relativ gesund und habe daher selten Beschwerden.

Wer nutzt dann digitale Gesundheitsangebote?

Spahn: Viele Apps richten sich an chronisch Kranke, die so im Alltag unterstützt werden. Zum Beispiel ein Diabetiker oder ein Patient mit Bluthochdruck. Daneben gibt es Apps zur Begleitung einer Psychotherapie oder zur Prävention von Krankheiten.

Nathrath: Und Apps wie Ada, die Symptome analysieren und bei der Diagnose unterstützen. Wir haben weltweit mehr als sieben Millionen Nutzer, in Deutschland knapp eine Million. Jeden Tag kommen zehntausende dazu.

Herr Minister, mit Ihrem Digitalisierungsgesetz soll die App auf Rezept kommen, die Kosten übernimmt die Krankenkasse. Ist das eine Gelddruckmaschine für Start-ups?

Spahn: Es gibt auch Gimmicks im Bereich Digital Health, die vielleicht Spaß machen, aber keinen konkreten gesundheitlichen Nutzen haben. Die werden natürlich nicht bezahlt. Aber wir wollen vielversprechende digitale Angebote schneller in die Versorgung holen. Die Apps durchlaufen ein Prüfverfahren, sie müssen zum Beispiel Anforderungen an Datenschutz und medizinischen Nutzen erfüllen. Über die Verschreibung entscheidet der Arzt, wie bei einem Medikament oder einer Physiotherapie.

Dann gibt es statt Tabletten eine App?

Spahn: Nein, das ist ein zusätzliches Angebot. Apps treten nicht an die Stelle von Medikamenten oder ärztlichen Ratschlägen, sondern unterstützen sie. Das Prinzip lautet: Nicht App statt Arzt, sondern Arzt und App.

Nathrath: Das Gesetz ist zweifellos ein großer Schritt nach vorne. Jetzt muss es aber auch weitergehen. Insgesamt läuft das noch zu analog zur alten Welt. Erstattet werden sollen bisher vor allem die Kosten von Apps, die eine Therapie begleiten. Patientenzentrierte Apps wie Ada, die beispielsweise schon vorab bei der Diagnose unterstützen, sind zunächst nicht wirklich im Fokus. Das Gesundheitswesen der Zukunft beginnt auf dem Smartphone. Das sollte stärker berücksichtigt werden.

Spahn: Aber es besteht die Möglichkeit, dass Krankenkassen Verträge mit einzelnen App-Anbietern abschließen, die zunächst nicht bei dem neuen Verfahren dabei sind. Auch in der geplanten elektronischen Patientenakte werden die Kassen zusätzliche Angebote wie Diagnose-Apps integrieren können.

Nathrath: Wir haben bereits jetzt Verträge mit Krankenkassen. Dennoch: Apps wie Ada schaffen einen echten Mehrwert, indem Patienten und Ärzte bei ihren Entscheidungen unterstützt werden. Damit lassen sich unnötige Arztbesuche vermeiden. Das spart dem Gesundheitssystem auch massiv Geld.

Sie wollen den Arzt ersetzen, Herr Nathrath?

Nathrath: Nein. Das wollen und können wir nicht. Für den Arzt ist es aber auch viel besser, wenn der Patient schon vorab eine erste Orientierung per App vornimmt und das Ergebnis mit dem Arzt teilt. Mit diesen Informationen kann der Arzt dann Zeit sparen und sich stärker den Patienten widmen, die es wirklich brauchen. Die Digitalisierung wird den Arzt nicht ersetzen. Aber Ärzte, die digitale Technologien einsetzen, werden jene Kollegen ersetzen, die das nicht tun.

Spahn: In einigen Jahren wird es kein Patient mehr akzeptieren, dass die Patientenakte auf Karteikarte in Handschrift in irgendeiner Arztpraxis liegt. Wir dürfen nicht akzeptieren, dass einige wenige Ärzte den Anschluss an das Gesundheitsdatennetz verweigern. Zum Glück möchte die große Mehrheit der Ärzte die digitalen Möglichkeiten nutzen. Das erleichtert ihren Arbeitsalltag – und sie können ihre Patienten besser versorgen.

Nathrath: Stimmt, vor einigen Jahren war da noch viel mehr Skepsis. Wir erhalten inzwischen viel positiven Zuspruch aus der Ärzteschaft. Wenn es jetzt vereinzelt noch Widerstände gibt, dann in der Regel nicht, weil die Ärzte nicht davon überzeugt sind, dass es den Patienten hilft.

Skepsis gibt es auch in der Bevölkerung, manche befürchten den „gläsernen Patienten“. Wie wollen Sie die Akzeptanz für digitale Gesundheitsangebote erhöhen?

Spahn: Fakt ist, dass Menschen sehr persönliche Daten in sozialen Medien und nicht zertifizierten Angeboten preisgeben. Die liegen dann für immer weltweit verstreut auf irgendwelchen Servern, ohne jede Kontrolle. Gleichzeitig gibt es Bedenken bei der Digitalisierung unseres Gesundheitssystems. Dabei gewährleisten wir Datenschutz und Datensicherheit auf allerhöchstem Niveau. Ich bin sicher: Die Akzeptanz kommt spätestens, wenn die Menschen merken, wie sehr digitale Gesundheitsangebote den Alltag vereinfachen können.

Nathrath: Ich glaube übrigens, dass die hohen Standards bei der Datensicherheit ein Standortvorteil für uns sind. Das wird gerade in einem sensiblen Bereich wie den Gesundheitsdaten weltweit als Qualitätsmerkmal angesehen.

Wo steht Deutschland denn bei der Digitalisierung des Gesundheitssystem im internationalen Vergleich?

Nathrath: Eher im Mittelfeld, was die Vernetzung von Gesundheitsdaten angeht, zum Beispiel in einer elektronischen Patientenakte.

Spahn: Ich sehe uns leider noch eher im hinteren Mittelfeld. Unser Anspruch ist es, bei der Digitalisierung nicht auf Landesliga-Niveau, sondern in der Champions League zu spielen. Und das gehen wir jetzt konsequent an.

Nathrath: Bei der Entwicklung neuer Technologien ist Deutschland aber gar nicht weit weg von der Spitze. Zum Beispiel in Berlin oder München ist ein Ökosystem von innovativen Health-Start-Ups entstanden. Zusätzliche Hoffnung gibt uns, dass durch Jens Spahn auch politisch Bewegung in das Thema kommt.

Haben Spahns Vorgänger geschlafen?

Nathrath: Ich würde mich auf das Positive konzentrieren: Es gibt jetzt eine Aufbruchstimmung in der Branche. Junge Unternehmen bekommen endlich die richtigen Rahmenbedingungen. Jetzt müssen wir alle aber auch liefern. Wir wollen keine Subventionen, sondern müssen weiterhin im Markt zeigen, dass die Leute unsere Angebote haben wollen.

Herr Minister, wer hat aus Ihrer Sicht geschlafen?

Spahn: Als die elektronische Gesundheitskarte 2004 erdacht wurde, war das eine innovative Idee. Die Selbstverwaltung aus Krankenkassen, Kliniken, Ärzten und Apothekern war aber jahrelang nicht in der Lage, sie umzusetzen. Ich will nicht, dass wir die Digitalisierung des Gesundheitssystems erleiden. Sondern dass wir sie gemeinsam gestalten. Darum machen wir jetzt Tempo.

Nathrath: Der Bereich der Gesundheit ist hochsensibel. Darum haben wir knapp sechs Jahre entwickelt bevor wir auf den Markt sind. Aber wir müssen grundsätzlich schon darauf achten, nicht immer zu lange nach der perfekten Lösung zu suchen. Man muss auch mit einem Produkt in den Markt gehen können, um dann Erfahrungen zu sammeln. Sonst wird die Konkurrenz aus Asien und USA links und rechts an uns vorbeistürmen.

Herr Spahn, diesen Ansatz verfolgen Sie ja auch bei der elektronischen Patientenakte.

Spahn: Die Patientenakte wird bei der Einführung 2021 nicht von Anfang an alles können. Beim Datenschutz gibt es keine Abstriche, das ist klar. Aber wir standen vor der Frage: Fangen wir nur an, wenn sie in allen Anwendungen perfekt ist? Dann wären wir in zehn Jahren noch nicht so weit.

Nathrath: Wir können bei der Patientenakte in Deutschland eine weltweite Innovationsführerschaft einnehmen, wenn wir sie von Anfang an so konzipieren, dass künstliche Intelligenz dabei eine Schlüsselrolle spielt. Da geht noch deutlich mehr.

Das Justizministerium hat allerdings Datenschutzbedenken bei der Digitalakte angemeldet.

Spahn: Nein, das stimmt nicht. Die gesetzlichen Grundlagen zur Patientenakte sind teilweise mehr als 15 Jahre alt. Wir haben mit dem Justizministerium vereinbart, alle Paragrafen datenschutzrechtlich auf die Höhe der Zeit zu bringen. Das dauert noch zwei bis drei Monate. Deshalb kommen die weiteren Regelungen zur Patientenakte nicht im Digitalisierungsgesetz, sondern in einem eigenen Datenschutzgesetz. An der Einführung zum 1. Januar 2021 ändert sich aber nichts.

Die Digitalisierung ist ein Langfristprojekt. Bleiben Sie dann eigentlich bis Ende der Legislaturperiode Gesundheitsminister? Sie sind als Nachfolger von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen im Gespräch...

Spahn: Mich beschäftigen derzeit andere Dinge. Diese Woche war das Digitale-Versorgung-Gesetz im Kabinett, nächste Woche kommt die Impfpflicht gegen Masern ins Kabinett. Personaldebatten interessieren weder die Pflegekraft noch den Start-Up-Unternehmer. Die interessiert, was sich in ihrem Alltag ändert. Daran arbeite ich.

Aber Frau von der Leyen ist die richtige Kandidatin für Brüssel?

Spahn: Ja. Ursula von der Leyen ist eine Macherin. Ich würde mich freuen, mit ihr zusammen während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im kommenden Jahr den europäischen Binnenmarkt für digitale Gesundheit voranzutreiben.

Herr Nathrath, Sie hätten sicher auch nichts dagegen, wenn Jens Spahn noch eine Weile Gesundheitsminister bliebe?

Nathrath: Das müssen andere entscheiden. Aber unabhängig von einzelnen Personen ist es zwingend notwendig, dass die beginnende Dynamik der Digitalisierung im Gesundheitswesen und bei künstlicher Intelligenz jetzt nicht ausgebremst, sondern weiter verstärkt wird. Wir stehen immer noch ganz am Anfang.

Das Interview führten Thomas Sigmund und Gregor Waschinski.

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