Antworten auf die Fragen der Nürnberger Zeitung

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zum Personalmangel in der Pflege und Qualität in der Krankenhausversorgung

Nürnberger Zeitung: Herr Spahn, wann und wo waren Sie zum letzten Mal im Krankenhaus in Behandlung - und hatten Sie das Gefühl, gut und gewissenhaft behandelt worden zu sein?

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn: Das war vor ein paar Jahren, als ich mir die Mandeln entfernen lassen musste. Mit dem Krankenhaus in meiner Heimatstadt habe ich dabei gute Erfahrungen gemacht. Aber bei jemandem, der mit Mitte 30 eine Mandel-OP hat und sonst relativ fit ist, gibt´s ja auch kaum Probleme. Das sieht mit älteren Patienten häufig anders aus. Die brauchen Betreuung. Und für  Pflegekräfte kann das ziemlich stressig werden, wenn viele Patienten gleichzeitig die Klingel an ihrem Krankenbett drücken. Die Situation für Pflegekräfte hat sich in den vergangenen zehn Jahren deutlich verschärft. In ihrem Bereich wurde am meisten gespart.

Warum eigentlich?

Weil die Krankenhäuser mit der Pflege bisher nichts verdient haben. Denn die war eingepreist. Bisher brachten nur Operationen, die Ärzte, das Geld rein - nicht die Pflegekräfte. Das werden wir ändern.

Nun sind Sie seit fünf Monaten im Amt und können daran arbeiten, das zu verbessern. Braucht die Krankenhaus-Finanzierung deutlich mehr Geld?

Wir haben gerade eine, außergewöhnliche Situation: Die gute wirtschaftliche Lage gibt uns Spielraum. Als ich vor 14 Jahren mit der Gesundheitspolitik begonnen habe, konnten wir nur Spargesetze verabschieden. Jetzt hingegen können wir gestalten. Das möchte ich so tun, dass etwas im Alltag ankommt, sich die Krankenhausversorgung spürbar verbessert. Ab 1. Januar 2019 wird deshalb jede neue Pflegekraft von den Krankenkassen voll finanziert. Krankenhaus-Geschäftsführer haben dann keine Ausrede mehr, dass kein Geld für die Pflege da sei. Denn das Geld ist definitiv da. In der Vergangenheit mussten Pflegekräfte zu oft Tarif-Lohnerhöhungen selbst durch Mehrarbeit ausgleichen, weil Stellen eingespart wurden. Jetzt können Kliniken zusätzliches Personal einstellen, wo es gebraucht wird. Durch die Personaluntergrenzen, die es bis 1. Januar 2020 parallel geben wird, werden Kliniken mit schlechter Pflege-Ausstattung sogar dazu gezwungen.

Wie schnell werden diese Maßnahmen wirken?

Die verbesserte Finanzausstattung wird zum 1. Januar 2019 sofort wirksam. Die Personaluntergrenzen werden schrittweise bis 2020 umgesetzt. Der Grundgedanke dabei ist: Krankenhäuser mit zu wenig Pflege-Personal dürfen Patienten nicht gefährden. Deswegen soll es für Kliniken, die sich nicht in der Lage sehen, die Zahl der Pflegekräfte zu erhöhen, nur  zwei Alternativen geben: entweder sie schließen einzelne Stationen – oder sie kooperieren mit anderen Krankenhäusern.

Was, wenn die Kliniken sagen, wir würden ja gern einstellen, finden aber keine Pflegekräfte?

Das Problem versuchen wir parallel zu lösen: Gemeinsam mit dem Familien- sowie dem Arbeitsministerium haben wir die „Konzertierte Aktion Pflege“ ins Leben gerufen. Dazu gehört eine Ausbildungsoffensive.  Und wir bemühen uns, diejenigen zurückzugewinnen, die sich aus Frust aus dem Beruf zurückgezogen haben, sei es ganz oder teilweise. Die Teilzeit-Quote ist enorm gestiegen. Unser Ziel ist, durch Anreize und verbesserte Arbeitsbedingungen möglichst viele Teilzeitbeschäftigte dazu zu bewegen, die Stundenzahl aufzustocken. Wenn das einige tun, ist damit schon viel gewonnen.

Deutschland sucht sich Fachkräfte für Altenpflege in Osteuropa, sehr oft in Polen. In Polen hingegen wirbt man jetzt Philippiner an, weil der Markt leergefegt ist. Ist das fair, wenn wir osteuropäischen Senioren die Fachkräfte wegkaufen?

Nein. Mir ist es ausgesprochen wichtig, dass wir Pflegekräfte nicht aus Gesellschaften abwerben, die selbst alt sind. Wir müssen uns in jungen Gesellschaften umsehen, wo die Hälfte der Bevölkerung unter 30 ist. Beispiele sind Mazedonien oder Kosovo. Dort gibt es sogar eine relativ gute Pflegeausbildung.

Ist es angedacht, dass diese Länder für die Ausbildung ihrer Pflegekräfte vergütet werden?

Wir werden Kooperationen mit diesen Ländern machen, vielleicht werden sogar Träger aus Deutschland dort Pflegeschulen betreiben. Dann könnte ein Teil der Pflegekräfte im Land bleiben, und der andere Teil hätte ein deutsches Staatsexamen und bereits die Berufsanerkennung. Im Idealfall bräuchten Absolventen nur noch ein Arbeitsvisum und könnten bei uns dann sofort durchstarten.

Vor 15 Jahren gab es noch deutlich über 2000 Krankenhäuser in Deutschland, heute sind es  1900. Hat Deutschland noch zu viele Kliniken?

Grundsätzlich ja, aber es ist regional sehr unterschiedlich. Tendenziell gibt es in Ballungsräumen zu viele Kliniken, zum Beispiel im Ruhrgebiet.  Wenn sie besser kooperieren würden – nicht jede Klinik muss alles anbieten – können wir insgesamt zu einer besseren Versorgung kommen, weil dann mehr Pflegekräfte verfügbar wären. Ich habe kürzlich ein 90-Betten-Haus in der Nähe von Erlangen besucht, das das vorbildlich macht. Die Klinikleitung sagte: Wir kümmern uns um klassische Allgemeineingriffe wie Blinddarmentfernung und Lungenentzündung, aber wir wissen auch, wann wir an die Kollegen nach Erlangen verweisen. Das ist der richtige Weg: Nicht jede Klinik braucht einen Herzkatheter, nur weil das Nachbarhaus auch einen hat.

Sie wollen, dass sich die Zukunftsfähigkeit eines Krankenhauses an der Qualität der medizinischen Leistung bemisst. Welche Kriterien setzen Sie an, vor allem aber: Wie soll das gemessen und beurteilt werden? Der NZ-Klinikcheck will genau das erreichen und bedient sich dafür öffentlich zugänglicher Daten...

Wir bauen gerade ein solches System auf. Und dafür werden wir auch die von Ihnen angesprochenen Qualitätsdaten der Krankenhäuser verwenden. Ich finde es gut, dass in Vergleichen wie Ihrem die Daten aufgearbeitet und leichter verständlich gemacht werden. Das sollte im Idealfall nicht nur punktuell passieren. Das Beste wäre ein bundesweit einheitliches Informationsportal, mit dem Patienten die Qualität ihrer jeweiligen Krankenhäuser vor Ort vergleichen können.  Die Daten sind ja da, man muss sie nur gut aufbereiten. Und noch besser wäre, wir würden diese Daten mit den Informationen über die Versorgung in Arztpraxen verknüpfen. Wenn also jemand eine Hüft-OP hatte, sollte auch erfasst werden, wie oft er anschließend noch in ambulanter oder sogar stationärer Behandlung war. Außerdem muss das System risikoadjustiert sein. denn die Unikliniken bekommen die schwereren Fälle zur Behandlung. Das ist kompliziert. Das dauert seine Zeit. Aber wir sind auf einem guten Weg.

Wie lange wird das dauern – und welche Konsequenzen wird die ausgebaute Qualitätsmessung haben?

Wenn wir Qualität bewerten, muss das Folgen haben. Sonst nützt es Patienten nicht. Deshalb wollen wir schlechte Qualität nicht dauerhaft genauso vergüten wie gute. Die schlechteren Kliniken müssen entweder besser werden – oder die Länder haben die Möglichkeit, die Krankenhäuser aus der Versorgung zu nehmen. Aber so weit sind wir noch nicht: Ich bin jetzt fünf Monate im Amt, und wir haben schon drei große Gesetzespakete in Angriff genommen: Wir schaffen neue Pflegestellen. Wir sorgen für schnellere Arzttermine. Und wir senken die Krankenkassen-Beiträge. Behandlungs-Qualität kommt als nächstes dran. Das Thema steht 2019 ganz oben auf meiner Agenda.

Ein Wort noch zu den Termin-Servicestellen, die Sie umbauen wollen...

Wir wollen dafür sorgen, dass gesetzlich Versicherte schneller als bisher Arzttermine bekommen. Dafür sollen die Termin-Servicestellen ausgebaut werden, 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr erreichbar sein. Außerdem sollen Ärzte mehr Sprechstunden anbieten als bisher. Und schließlich wollen wir die Vermittlung von Facharztterminen verbessern. Dafür bekommen die Ärzte zusätzliches Honorar. Sie sehen: Es geht nicht nur um Termin-Servicestellen. Das Problem mit den Arztterminen gehen wir von vielen Seiten an.

Sie sind am Dienstag bei der CSU in Nürnberg aufgetreten und wurden als einer der wenigen CDU-Politiker eingeladen, in den Wahlkampf einzugreifen. Ist das ein Kompliment?

Ich freue mich über jede Einladung – nicht nur nach Bayern. Ich werde auch viel in Hessen unterwegs sein, wo ebenfalls im Oktober Landtagswahlen stattfinden. Das ist für mich selbstverständlich: Wir sind die Union – CDU und CSU gehören zusammen und arbeiten zusammen...

Immer noch?

Ja, unbedingt. Wir sind auch nur gemeinsam erfolgreich. Außerdem bin ich gern in Bayern. Bierzelte wie hier gibt‘s in Deutschland nicht so häufig, ich mag die Atmosphäre.

Wie würden Sie den momentanen Zustand der Union beschreiben?

Wir haben objektiv schwierige Wochen und Monate hinter uns, wo wir uns in einer wichtigen Sachfrage – wie gehen wir mit Migration und einer Begrenzung der Migration um? – im Ziel einig sind. Es geht um die Frage nach Wegen dahin. Ich glaube, eine wichtige Lehre haben alle von uns aus dieser Zeit gezogen: Es wird zurecht von uns erwartet, dass wir, wenn wir schon miteinander streiten, das in einem Stil tun, der den Unionsgedanken noch erkennen lässt. Wir wollen nicht über die Probleme reden, um sie groß zu machen, sondern um sie gemeinsam zu lösen. Und ich finde: Die Landesregierung hier in Bayern ist vorbildlich etwa durch ihr Projekt Landes-BAMF, um die Zentralisierung und Rückführung von Flüchtlingen zu organisieren, die keine Bleibeberechtigung haben. Und – dieser Teil wird immer zu Unrecht vergessen: Ihr seid das Bundesland, das am besten bei der Integration, den Angeboten zur Integration und der Humanität ist. Bayern ist da wirklich super. Diesen Teil müssen wir stärker betonen. Bayern hat gezeigt, was es kann. Wären im Jahr 2015 die Züge mit Flüchtlingen in Bremen angekommen und nicht in München, dann hätte das, glaube ich, ein ziemliches Chaos gegeben. Das hätte den rot-grünen Senat dort überfordert.

Ihre Parteivorsitzende, die Kanzlerin, hat immer betont, dass sie zur Steuerung der Migrationsproblematik europäische Lösungen anstrebe, mit Spanien ist nun ein entsprechendes Abkommen geschlossen worden. Wie bewerten Sie das?

Es ist gut, dass es das erste bilaterale Abkommen gibt. Offenkundig reicht es zwar nicht, nur ein Abkommen mit Spanien zu haben, aber das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Dabei geht es erstmal nicht um Zahlen, sondern um die Systematik und Logik dahinter. Wir wissen doch, dass Dublin nicht funktioniert. Es kann aber auch nicht auf Dauer funktionieren, dass einige wenige Länder in der Mitte des Kontinents wie Deutschland, Österreich, Schweden und die Niederlande die gesamte Aufgabe meistern. Das ist eine europäische Aufgabe, zu der wir unseren Teil beigetragen haben. Und jetzt dürfen wir erwarten, dass wir gemeinsam die Grenzen sichern an den EU-Außengrenzen.

Das Interview führten Chefredakteur Stephan Sohr und Politikredakteurin Stefanie Rupp

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