"In Zukunft sollte grundsätzlich jeder in Deutschland Spender sein, der nicht ausdrücklich Nein sagt."

Bundesgesundheitsminister Spahn spricht sich im Interview mit der Passauer Neuen Presse für eine breite Debatte über die Widerspruchslösung bei der Organspende aus.

Passauer Neue Presse: Herr Spahn, alle Appelle haben bisher nicht geholfen - nicht einmal 800 Organspenden pro Jahr in Deutschland - wie lässt sich die Not lindern?

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn: Es passt nicht zusammen, dass 84 Prozent der Deutschen Organspenden richtig finden, gleichzeitig aber die Spenderzahlen sinken. Das will ich nicht akzeptieren. 10000 Menschen warten auf Spenderorgan. Und jeder von uns könnte morgen selber auf ein Organ angewiesen sein. Deshalb handeln wir jetzt. Wir werden die Abläufe in den Kliniken verbessern. Dafür habe ich ein Gesetz vorgelegt. Die Kliniken bekommen mehr Geld und Zeit für die notwendigen Gespräche und Abläufe. Und ich werbe für einen Systemwechsel. Heute muss man ausdrücklich Ja zur Organspende sagen. In Zukunft sollte grundsätzlich jeder in Deutschland Spender sein, der nicht ausdrücklich Nein sagt. Über diese Widerspruchslösung sollten wir jetzt eine Debatte  führen. 

Haben Sie Verständnis für die Sorgen und Ängste von Menschen, die nicht spenden wollen?

Klar verstehe ich das Unbehagen. Immerhin geht es ums Sterben und um den Tod. Umso wichtiger ist eine breite und sachliche Debatte. Dabei müssen auch die Gegenargumente auf den Tisch kommen. Denn die Widerspruchslösung ist ein Eingriff in die persönliche Freiheit. Aber ich bin davon überzeugt, der ist notwendig. Um mehr Spender zu finden. Aber auch um Angehörige zu entlasten. Wenn ich zu Lebzeiten selbst über eine Organspende entscheide, bringe ich nicht meine Angehörigen in die schwierige Lage, das im Fall der Fälle für mich tun zu müssen. 

Sie plädieren für eine Widerspruchslösung. Warum kommen Sie jetzt mit dem Vorschlag?

Ich habe lange mit mir gerungen. Angesichts dieses Tiefststandes bei der Zahl der Organspenden muss etwas passieren. Die doppelte Widerspruchslösung ist - wenn wir  diese klug ausgestalten - ja auch keine Pflicht zur Organabgabe. Jeder soll auch in Zukunft ohne Begründung Nein sagen können. Es ist aber eine Pflicht, sich mit dem Thema zu beschäftigen und sich entsprechend zu verhalten.

Die Stiftung Patientenschutz warnt vor der doppelten Widerspruchslösung und sieht darin einen Verstoß gegen Grundrechte. Wie wollen Sie die Kritiker überzeugen?

Mit dem Schicksal der Menschen, die auf Organe warten. Und mit den Fakten, die mich auch überzeugt haben. Wir haben alles versucht, um Organspende zu fördern. Doch die Spenderzahlen sinken. Das heißt: Wir müssen reagieren. Wichtig ist mir, dass die Debatte um die Widerspruchslösung nicht ergebnislos bleibt. Deshalb versuche ich den Diskurs darüber im Parlament zu gestalten. Ich finde: Wir müssen wieder mehr kontroverse Debatten führen und aushalten. Sie sollten aber für den Alltag der Bürgerinnen und Bürger relevant sein und konkret werden. Probleme beschreiben, sie aber nicht zu lösen, sorgt nur für Verdruss.

Wann soll die neue Regelung in Kraft treten?

Wir sollten bis Mitte des nächsten Jahres eine Entscheidung getroffen haben. Gemeinsam mit anderen Abgeordneten werde ich als Parlamentarier einen fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf erarbeiten. Es wird auch andere Anträge mit verschiedenen inhaltlichen Positionen geben. Die Fachleute meines Ministeriums stehen mit ihrer Expertise jedem zur Verfügung, der einen eigenen Gesetzentwurf erarbeiten will. Bis Jahresende sollten die verschiedenen Anträge vorliegen und dann werden wir das im Parlament offen und breit beraten 

Auch in Teilen Ihrer Partei, aber auch in den Reihen der Kirchen gibt es Widerspruch. Haben die Unionsparteien mit dem „C“ im Parteinamen hier nicht eine besondere Verantwortung?

Sicher. Im Zweifel muss immer für das Leben entschieden werden. Wir sind aber eben auch in der Verantwortung, denjenigen zu helfen, die durch eine Organspende länger leben könnten. Mich ärgert, wenn einige von Zwangsabgabe reden. Davon sind wir weit entfernt. Aber ich verstehe die Sorgen und Bedenken. Und es ist gut und nachvollziehbar, das es in Union und in den Kirchen eben auch sehr unterschiedliche  Auffassungen dazu gibt. Auch die müssen wir offen diskutieren.. Aber wenn 10 000 Menschen hoffen und warten und die Chance da wäre, Leben zu retten, zu verlängern, darf uns das nicht gleichgültig sein. Mich jedenfalls treibt das sehr um, denn eine Organspende ist für mich im christlichen Sinn immer auch ein Akt der Nächstenliebe.

Aber die Unsicherheit bei vielen bleibt. Durch den Organspendenskandal ist viel Vertrauen verloren gegangen. Wie kann das wieder zurückgewonnen werden?

Es ist richtig, wir haben viel Vertrauen verloren durch die Skandale, die es vor sechs Jahren gab. Aber wir haben reagiert, an vielen Stellen die  die gesetzlichen  Vorgaben für Organspende geschärft. Auch das können wir in der Diskussion um die Widerspruchslösung transportieren.

In Kliniken und Altenheimen fehlt es an Personal, wird über einen Pflegenotstand geklagt. Wie wollen Sie Abhilfe schaffen?

Wir müssen den Negativtrend und die Vertrauenskrise in der Pflege ernstnehmen: Das geht nur mit mehr Stellen, besserer Bezahlung und einem attraktiven Berufsbild. Daran arbeiten wir aktuell sehr intensiv und haben auch schon Vieles auf den Weg gebracht. Gerade junge Menschen sollen wissen, dass es sich lohnt, diesen Beruf zu ergreifen, weil sie gebraucht werden und sich damit eine Existenz aufbauen können.

Wie lässt sich die Situation konkret verbessern?

Wir schaffen ab dem nächsten Jahr13 000 neue Stellen in der Altenpflege. In der Krankenpflege wird jede neue zusätzliche Stelle von den Krankenkassen finanziert. Das ist nur ein erster Schritt. Wir müssen den Pflegejob attraktiver machen. Es muss mehr Personal und eine bessere Bezahlung geben. Familie und Beruf müssen besser miteinander vereinbar sein. Und wir müssen Menschen ermuntern, die den Pflegebereich verlassen haben, wieder zurückzukehren. Wir werden alle Register ziehen. 

Ihr Plan, mehr Pflegekräfte aus dem Ausland anzuwerben, stößt nicht auf ungeteilte Begeisterung…  

Wir werden die Probleme in der Pflege nicht allein mit Pflegekräften aus dem Ausland bewältigen können. Insofern ist die Möglichkeit, auch qualifizierte Pflegekräfte aus dem Ausland zu gewinnen, nur ein Baustein von vielen. Es geht um Kooperationen mit Ländern wie Kosovo und Albanien, die selbst eine sehr junge Bevölkerung haben und über Bedarf Pflegekräfte ausbilden. Wichtig ist dabei, dass wir den Ländern nicht die Fachkräfte wegnehmen. Und natürlich müssen ausreichende Sprachkenntnisse und die notwendige Kompetenz  nachgewiesen werden.

Gesetzlich Versicherte müssen oft lange auf Arzttermine warten. Wie wollen Sie das ändern?

Gesetzlich Versicherte sollen künftig schneller an Termine kommen können. Dabei soll ab nächstem Jahr die Terminservicestelle helfen, und zwar 24 Stunden, sieben Tage die Woche. Ärzte, die zusätzliche Patienten nehmen, werden besser bezahlt.  In ländlichen Regionen soll es für Ärzte attraktiver werden, sich niederzulassen. 

Mehr Geld für Kliniken und Pflegeeinrichtungen, mehr Geld für Ärzte – da wird das Ziel, die Beiträge unter 40 Prozent zu halten und die Lohnnebenkosten zu begrenzen, schwer zu halten sein, oder?

Die Spielräume, die wir für Beitragssenkungen in der Sozialversicherung haben, nutzen wir - etwa in der Arbeitslosenversicherung. In der Pflegeversicherung ist das anders. Weil wir dort zusätzliche finanzielle Mittel für notwendige Verbesserungen benötigen, erhöhen wir ab dem nächsten Jahr den Beitrag um 0,5 Prozentpunkte. Eine gute Versorgung im Pflegefall ist den Menschen wichtig. Deshalb werden finanzielle Zusatzbelastungen akzeptiert. Es muss aber bei dem Ziel bleiben, dass die Sozialbeiträge unter 40 Prozent bleiben. Denn wir brauchen  auch planbare Lohnnebenkosten. Sie sind ein wichtiges Element guter Wirtschaftspolitik.

Das Interview führte Andreas Herholz

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