Spahn: „Gute Chancen, dass wir in zehn bis 20 Jahren Krebs besiegt haben“
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn über die Fortschritte bei der Krebserkennung und Prävention
Krebsbekämpfung, Implantateregister und elektronische Patientenakte - hier finden Sie die Antworten von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn auf die Fragen von Eva Quadbeck und Michael Bröker, Rheinische Post vom 31.01.2019.
Rheinische Post: Sie hatten versprochen, für mehr Sicherheit und Transparenz bei Implantaten zu sorgen. Wie weit sind Sie gekommen?
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn: Auf europäischer Ebene treten nach und nach schärfere Zulassungsverfahren in Kraft, um Patienten zu schützen und die Qualität der Produkte zu sichern. Wir haben das zusammen mit den Gesundheitsministern der Länder überprüft: Die Skandale, über die zuletzt berichtet wurde, würden so nicht mehr vorkommen. Und national werden wir für die Sicherheit der Patienten ein Implantate-Register einführen. Der erste Gesetzentwurf dafür ist fertig und wird jetzt innerhalb der Regierung abgestimmt.
Was ändert sich konkret?
Wir starten damit, dass alle neu eingesetzten Hüftprothesen und Brustimplantate künftig in dem Register aufgeführt werden müssen. Damit wissen wir, wer wann wem etwas eingebaut hat. Wenn sich herausstellen sollte, dass ein Produkt fehlerhaft ist oder Komplikationen bereitet, dann werden wir künftig alle Patienten informieren können, die so ein Implantat in sich tragen. Das ist ein großer Fortschritt und kann viel Leid vermeiden. Auch selbst wenn ein Produkt in Ordnung ist, gewinnen wir Erkenntnisse über dessen Haltbarkeit und Qualität. Ein Implantate-Register schafft also Transparenz, schützt die Patienten und verbessert die Versorgungsforschung.
Wo steht der Gesundheitsminister beim Streit der Lungenärzte über die Gefahren des Stickstoffdioxids?
Auf der Seite derjenigen, die versuchen, die Debatte zu versachlichen. Deshalb halte ich es auch für richtig, dass die Bundeskanzlerin die Universität Leopoldina gebeten hat, die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu diesem Thema zusammenzustellen. Das sollten wir abwarten. Klar ist: Egal, wo wir die Stickoxid-Grenze definieren – das ist immer eine politische Entscheidung. Und es ist übrigens auch eine politische Entscheidung, wo die Messstellen stehen. Es wird jedenfalls nie so sein, dass man sagen kann: Unterhalb dieser Grenze ist das völlig gesund und erst oberhalb schädlich. Die Frage ist nur, was wir auf Grundlage wissenschaftlicher Expertise für tolerabel halten.
Wann werden Sie alle Arten von Implantaten in dem Register führen?
Wahrscheinlich wird der Aufbau des gesamten Registers drei bis fünf Jahre dauern. Wenn das Gesetz zum 1. Januar 2020 in Kraft tritt, sollten wir bis spätestens 2025 alle relevanten Produktkategorien erfasst haben.
Wird die genaue Produktbezeichnung eines Implantats dann demnächst auch Teil der elektronischen Patientenakte?
Sicher, wenn der Patient das möchte.
Nachdem es bei der elektronischen Patientenakte ja 15 Jahre Stillstand gab...
…eine für den Patienten nicht wahrnehmbare Entwicklung…
...hat nun ein Wettbewerb eingesetzt zwischen privaten Versicherungen, Krankenkassen und anderen Anbietern, wer die Daten für die Patienten sammelt. Wem kann man da vertrauen?
Der Wettbewerb ist gut, weil so – mit klaren Rahmenbedingungen zu Datenschutz und Datensicherheit – auch die besten Lösungen entstehen. Dieses Vorgehen wird deutlich mehr Innovation bringen. Die Krankenkassen werden verpflichtet, ihren Versicherten spätestens ab 2021 eine elektronische Patientenakte anzubieten. Und wir werden finanzielle Sanktionen für die Kassen vorsehen, die das nicht erfüllen. Ihnen werden 2,5 Prozent für Verwaltungsausgaben gekürzt.
Es müssen ja nicht nur die Kassen mitziehen. Die Ärzte sind auch noch nicht überzeugt…
Ich bin sicher: Das wird sich ändern. Die Akzeptanz wird steigen, wenn sich die Behandlung verbessert. Wenn die Ärzte merken, dass sie besser arbeiten können, weil sie in einer elektronischen Akte die komplette Krankheitsgeschichte ihres Patienten finden. Wichtig ist dafür, dass wir beim Aufbau der elektronischen Akte schneller Ergebnisse liefern als bisher, schneller entscheiden. Dafür müssen wir die Strukturen ändern. Vor 15 Jahren hat die Bundesregierung entschieden, der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen den Aufbau der elektronischen Patientenakte quasi alleine zu überlassen. Das war der Kardinalfehler. Den machen wir jetzt rückgängig. Künftig soll das Gesundheitsministerium im zuständigen Entscheidungsgremium für die elektronische Patientenakte die Mehrheit übernehmen und die Möglichkeit erhalten, die Entwicklung der elektronischen Patientenakte zu steuern. Dieses Zukunft-Projekt darf nicht zum Berliner Flughafen des Gesundheitswesens werden.
Sie streiten sich mit den Ärzten ja schon wie Ulla Schmidt.
Finden Sie?
Bei der Ausweitung der Sprechstundenzeiten ist der Unmut über Sie groß. Sind die Ärzte ein störrisches Völkchen oder haben Sie mit Ihrem Plan überzogen?
Nein. Ich kann ja verstehen, dass sich niedergelassene Ärzte ungern Vorschriften machen lassen. Aber sie sollten vielleicht auch wahrnehmen, dass ich der erste Minister bin, der nicht nur mehr Leistungen einfordert, sondern diese auch bezahlen will.
Bei Ulla Schmidt war ja auch kein Geld da...
Jedenfalls verlangen wir von den Ärzten nicht zusätzliche Zeit für Patienten, ohne diese zusätzlich zu vergüten. Der Koalitionsvertrag sieht eine Ausweitung von 20 auf 25 Sprechstunden pro Woche vor. Dabei werden wir bleiben.
Ist es denn sinnvoll eine solche Maßnahme gleich mit der Gießkanne auch über gut versorgte Regionen einzuführen?
Wenn jemand einen vollen Arztsitz übernommen hat, hat er auch einen vollen Versorgungsauftrag, inklusive Hausbesuche. Dann muss er oder sie auch die 25 Stunden akzeptieren. Ich verstehe ja, dass das für viele Ärzte ein emotionales Thema ist. Aber die Wucht der Wut hat mich trotzdem überrascht. Denn Vorgaben zu Sprechstundenzeiten gab es ja bereits. Und die allermeisten Ärzte sind von der neuen Regel auch nicht betroffen. Sie arbeiten bereits heute so mehr. Wir werden am Ziel festhalten, dass Patienten schneller Termine bekommen als heute. Ich verschließe mich aber nicht konkreten Ideen der Ärzteschaft, wie das erreicht werden kann.
Sie haben mit Forschungsministerin Anja Karliczek die Strategien der Regierung für die Krebsbekämpfung vorgestellt. Wann ist der Krebs besiegt?
Es gibt gute Chancen, dass wir in 10 bis 20 Jahren den Krebs besiegt haben. Der medizinische Fortschritt ist immens, die Forschung vielversprechend. Und wir wissen deutlich mehr. Es gibt Fortschritte bei der Krebserkennung, bei der Prävention. Immerhin ein Fünftel der Krebserkrankungen lassen sich aufs Rauchen zurückführen. Eine weitere Ursache sind schlechte Ess- und Lebensgewohnheiten, die wir durch Aufklärung stärker in den Griff bekommen können. Das Darmkrebsscreening wird ausgeweitet. Und wer hätte vor zehn Jahren gedacht, dass wir einen Impfstoff gegen das HP-Virus entwickeln werden und diesen Virus theoretisch ausrotten könnten, wenn sich die jungen Menschen vor dem ersten Sexualverkehr impfen lassen. Beim Weltwirtschaftsforum in Davos waren Gesundheitsthemen wichtiger denn je, auch der Kampf gegen den Krebs. Die EU könnte eine Vorreiterrolle einnehmen und ihre Forschungskapazitäten bündeln. Das wäre auch ein Mehrwert für Europa.
Immer mehr Kinder sind zu dick. Was spricht gegen eine klare Kennzeichnung von Zucker und Fetten bei Lebensmitteln?
Entscheidend ist, dass die Industrie den Zucker reduziert und die Menschen ihre Ernährung verändern. Das Ziel, Zucker, Salz und Fette, langfristig zu reduzieren, ist richtig und wird durch Selbstverpflichtungen der Industrie auch angegangen.
Selbstverpflichtungen gibt es viele.
Wir werden die Reduktion von Salz, Fett und Zucker in den Lebensmitteln überprüfen und wenn es keine Verbesserungen gibt, gesetzlich eingreifen. Darüber bin ich mir mit Ernährungsministerin Julia Klöckner sehr einig.
Was hat Ihnen die Kandidatur für den CDU-Vorsitz persönlich gebracht?
Mehr Gelassenheit. Mein Ziel war es, mit meiner Kandidatur ein Angebot für einen diskussionsfreudigeren Stil, eine jüngere Generation und wichtige Zukunftsthemen zu machen. Das ist gelungen, denke ich. Ich bin mir treu geblieben.
Wird die CDU auch künftig die Basis in zentrale Personalentscheidungen einbeziehen?
Warum nicht? Der offene Wettbewerb um den Parteivorsitz hat die CDU belebt und die Debatte verbreitert. Das hat der CDU gut getan und ich denke, dass die Partei auch künftig bei wichtigen Entscheidungen über solche oder ähnliche Formate beteiligt werden will.
Auch bei der Frage der Kanzlerkandidatur?
Die Frage stellt sich zurzeit nicht. Wir haben eine Kanzlerin. Und die Parteichefin hat immer das Recht auf den ersten Vorschlag, wenn es soweit ist.
Hat Frau Kramp-Karrenbauer genug getan, um das unterlegene Merz-Lager einzubinden?
Ich denke die CDU nicht in Lagern. Sicherlich war ein großer Teil der Delegierten enttäuscht. Aber das ist das Wesen einer knappen Wahl. Trotzdem habe ich den Eindruck, dass diese Enttäuschung dem Willen gewichen ist, zusammenzuhalten und für den gemeinsamen Erfolg zu arbeiten. Das tue ich, dafür werbe ich.
Und Jens Spahn in zwei Jahren...
...ist Bundesminister der Gesundheit…