Spahn: "Alle zugelassenen Impfstoffe sind sicher und wirksam."

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und der baden-württembergische Sozial- und Integrationsminister Manne Lucha im Doppelinterview mit der Stuttgarter Zeitung zur Impfkampagne

Stuttgarter Zeitung: Herr Spahn, Herr Lucha, vielleicht könnten Sie zu Beginn unseres Gespräches einen Sachstand über die Impf-Kampagne gegen den Corona-Virus geben…

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn: In Deutschland hat es bereits über drei Millionen Impfungen gegeben. Gut 800.000 davon waren schon Zweit-Impfungen. In den Pflegeheim-Einrichtungen sind deutschlandweit annähernd 75 Prozent der Bewohner mindestens einmal geimpft, fast die Hälfte von ihnen haben mit der Zweitimpfung bereits den vollen Schutz. Wir werden also bald jedem Bewohner eines Pflegeheimes ein Impfangebot gemacht haben. Die allermeisten nehmen dieses Angebot auch an. Wir alle hätten uns gewünscht, dass das schneller geht. Trotzdem: Alle Pflegebedürftige in den Heimen zu schützen ist ein wichtiger Meilenstein der von Bund und Ländern gemeinsam entwickelten Nationalen Impfstrategie.

Sozial- und Integrationsminister Manne Lucha: Wir haben im Land 390.000 Impfungen durchgeführt, davon haben 106.000 Menschen schon die zweite Impfung erhalten. Wir haben dabei von Anfang an in allen drei Bereichen losgelegt: in den Pflegheimen, in den medizinischen Einrichtungen und bei den mobilen Über-80-Jährigen in den Impfzentren. Wir haben jetzt schon 13 Prozent der stationären Pflege-Einrichtungen komplett zweitgeimpft. Wir werden Mitte März das Ziel der vollständigen Zweitimpfung in den Pflegeeinrichtungen erreicht haben.

Herr Lucha, Sie haben gesagt, dass aufgrund der Impfstoffknappheit derzeit nur mit halber Kraft gearbeitet werden kann. Was heißt das?

Lucha: Wir sind im September noch davon ausgegangen, dass wir erst Mitte 2021 Impfstoff haben werden. Der Bundesgesundheitsminister hat den Ländern dann aber schon Anfang November empfohlen, sich auf einen Impfstart im Dezember einzustellen. Deshalb haben wir im Land in großem Tempo eine Infrastruktur aufgebaut: Wir können in 60 Impfzentren wöchentlich 240.000 Impfungen vornehmen. Tatsächlich verimpfen wir derzeit zwischen 7000 und 8000 Dosen – mit aufsteigender Tendenz.

Spahn: Wir hatten zu Beginn die Länder gebeten, 60 Impfzentren in ganz Deutschland bereit zu halten. Inzwischen haben wir rund 440. Diese Struktur wird uns sehr helfen. Aber es war klar, dass bei dieser großen Zahl zum Start noch nicht alle im Vollbetrieb laufen können. Im Übrigen war der Einbruch bei den Lieferungen nicht so stark. In zwei Wochen haben die Hersteller insgesamt bis zu 400.000 Dosen weniger geliefert als angekündigt. Dieser Rückstand wird aber schon in dieser und der nächsten Woche praktisch aufgeholt. Wir bekommen im ersten Quartal so viele Dosen, wie von den Herstellern im Dezember zugesagt.

Liegt die Enttäuschung daran, dass die Erwartungen zu hoch waren?

Spahn: Das Erwartungsmanagement war ein Problem. Ich hatte gedacht, dass es nach sechs Wochen Debatte über die Priorisierungen der vorrangig zu impfenden Gruppen klar war, dass es zu Beginn nicht genügend Impfstoff für alle geben wird. Aber da spielte das noch nicht die große Rolle. Nach Weihnachten waren alle müde vom Lockdown. Viele hofften, dass der Impfstoff uns innerhalb von vier Wochen von der Plage dieser Pandemie befreit. Dieser Erwartung konnten wir in der Tat nicht gerecht werden. Im Nachhinein hätte man das frühzeitig noch deutlicher machen müssen.

Lucha: Man muss auch die Dimensionen sehen. Wir haben in Baden-Württemberg eine Million Menschen mit der höchsten Impf-Priorität. Für die habe ich am Tag an die 8000 Impfungen zur Verfügung. Das ist keine Freude. Es tut uns am meisten in der Seele weh, wenn wir merken, dass die Ungeduld groß wird, und auch bei der großen Nachfrage nach den Terminen für Über 80-Järhige nicht alles auf Anhieb geklappt hat. Wissen Sie, wir alle haben die Schnauze voll von der Pandemie. Wir alle sind ungeduldig. Ich kann uns allen aber nur raten: Bleiben wir die nächsten Wochen noch cool. Am Tag vor Weihnachten waren wir im Land bei einem Inzidenzwert von 204,5. Heute sind wir bei 60. Das ist nicht vom Himmel gefallen, sondern die Frucht unserer gemeinsamen Anstrengungen.

Entsteht bald eine Gerechtigkeitsdebatte darüber, wer welchen Impfstoff bekommt? Schließlich haben nicht alle den gleichen Wirkungsgrad.

Spahn: Das stimmt. Trotzdem sind alle zugelassenen Impfstoffe sicher und wirksam. Der gelegentlich kritisch betrachtete Impfstoff von Astrazeneca hat bisher übrigens als einziger erste Nachweise dafür, dass er auch die Ansteckungsfähigkeit reduziert. Und alle drei schützen gegen Covid-19 als Erkrankung. Durch Astrazeneca können wir jetzt mehr Menschen aus den Hochrisiko-Gruppen impfen, weil wir gleichzeitig mehr Impfstoff für die 18- bis 64-jährigen haben. 

Lucha: Ich will unterstreichen, dass unsere Experten uns ausdrücklich bestätigen, dass Astrazeneca ein gleichwertiger Impfstoff ist.

Die neue Impfverordnung eröffnet die Möglichkeit, dass auch jüngere Menschen mit schweren Vorerkrankungen unter Umständen vorrangig geimpft werden können. Wie soll dieses Prüfverfahren laufen?

Spahn: Da dürfen wir keine falschen Erwartungen wecken. Wir können jetzt nicht die Grundsatzentscheidung, wer höchstes und hohes Risiko hat, durch eine Flut von Einzelfall-Entscheidungen unterlaufen. Das schafft das System nicht. Es kann nicht funktionieren, wenn jetzt zehn Millionen Bürger für sich eine Einzelfallentscheidung beanspruchen. Es geht um Ausnahmen, etwa bei seltene Erkrankungen. Und darüber muss im Einzelfall entschieden werden. Grundlage bleibt immer das Prinzip: Wer ein hohes Risiko, schwer zu erkranken, soll prioritär geschützt werden.

Lucha: Ich kann nur allen raten, uns im Wesentlichen an die Priorisierungen der Ständigen Impfkommission zu halten. Es gibt Grenzfälle. Die legen wir in Baden-Württemberg der Ethik-Kommission der Ärztekammer vor. Deren Empfehlungen wollen wir folgen. Wir sollten aber in den nächsten Wochen nicht an den gültigen Spielregeln herumdoktern.

Also auch keine schnellere Impfung von Lehrern und Erziehern?

Spahn: Die Priorisierungen erfolgen auf wissenschaftlicher Basis nach den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission. Maßstab ist die Frage, wo das Risiko eines schweren, gar tödlichen Verlaufs einer Covid-Erkrankung und das Infektionsrisiko am höchsten ist. Ich kann nur empfehlen, dass wir diese wissenschaftliche Herleitung ernst nehmen. Ich bekomme Briefe von Menschen und Gruppen, die mangelnde Wertschätzung beklagen. Das verstehe ich. Ich schätze die Arbeit der Lehrer, Erzieher oder Polizisten sehr – gerade in der Pandemie. Aber jetzt geht es um den Gesundheitsschutz der besonders Gefährdeten. Wenn die erfolgt ist, folgt der nächste Schritt.

Kommen wir beim Einsatz von Schelltests zu langsam voran?

Lucha: In Baden-Württemberg werden wir die Notbetreuung und mögliiche Teilöffnungen in Kitas, Primarschulen und Abschlussklassen mit zweimal wöchentlich durchgeführten Schnelltests bei Lehrern und Erziehern bis Ostern begleiten. Wir evaluieren den Prozess genau und werten die Resultate aus. Das wird uns belastbare Hinweise geben, in welchen Schritten wir bei der Öffnung der Schulen vorankommen können. Wir sind übrigens auch eines der wenigen Bundesländer, das dreimal wöchentlich in Pflegeheimen testet.

Müssten die Schnelltests nicht auch zur Eigenanwendung frei gegeben werden?

Spahn: Die bisher verfügbaren Tests erfordern nach Auskunft der Hersteller vor der Anwendung eine Schulung. Die Qualität der Ergebnisse hängt von der richtigen Probenentnahme ab. Es darf nicht sein, dass ein falsches Ergebnis in falscher Sicherheit wiegt. Der Staat setzt die Tests vorwiegend in Schulen, Kitas und Pflegeheimen ein. Der Einsatz der privaten Eigentestung mit Schnelltests ist nun rechtlich durch Verordnung erlaubt. Aber solche Eigentests gibt es bislang nicht in ausreichender Qualität.

Lucha: Eine Anmerkung dazu. Wir stehen vor entscheidenden Wochen. Die Vorstellung, wir könnten das Virus wegtesten, lenkt in die Irre. Wir besiegen es nur durch die Impfung. Und vorbereiten können wir das durch die Beachtung der Hygiene- und Abstandsregeln sowie einen Strauß an Maßnahmen, bei denen die Kontaktvermeidung das Wichtigste ist.

Etwa jeder Vierte, der an Covid-19 starb, hatte zuvor in einem Pflegeheim gelebt. Das war schon im März deutlich, als es damals in Heimen in Wolfsburg und in Würzburg zu Corona-Ausbrüchen mit vielen Toten kam. Warum ist der Schutz der Heime nicht gelungen?

Spahn: Die Sorge um die Pflegeheime treibt mich jeden Tag um. Wir haben lernen müssen: Ist das Virus erstmal in einer Einrichtung, schlägt es brutal zu. Deshalb haben wir im Frühjahr 2020 bereits ein Hygienekonzept für Heime entwickelt. Wir bezahlen seit dem Frühjahr die Schutzausrüstung. Wir haben den Heimen fast 300 Millionen medizinische Masken zusätzlich direkt zur Verfügung gestellt. Und wir haben Schnelltests ermöglicht. Ziel ist zu verhindern, dass Heime zu Gefängnissen ohne Gitter werden. Das ist eine schwierige Balance und diese ist nicht überall gleich gut gelungen. Aber mit den Impfungen jetzt ändert sich viel. Sind so alle Pflegebedürftigen in den Heimen geschützt, ist viel erreicht.

Lucha: Was den Schutz der Heime anbelangt, ist es eindeutig so: Wir geben alles. Ich weiß noch, wie mir der Kantor der evangelischen Kirche in meiner Stadt sagte, dass sein Vater, der im Heim lebt, den Besuch zu Ostern so sehr vermisst habe. Das war eine bittere Zeit. Deshalb setzen wir im Land ja auch so stark auf die Impfung der Heimbewohner und testen dort viel und regelmäßig. Denn die große Gefahr ist, dass sich Mitarbeiter außerhalb in ihrem privaten Umfeld infizieren und das Virus so mitbringen. Diese Gefahr wird aber kleiner, wenn die Inzidenz sinkt, weshalb es eben entscheidend ist, sie weiter nach unten zu bringen.

Am Mittwoch beraten die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten wieder darüber, wie es mit dem Lockdown weitergeht. Erzwingen die Mutationen nicht eine Fortsetzung des Lockdowns?

Lucha: Es wäre grundfalsch, jetzt irgendwelche Signale zu Lockerungen auszusenden, wenn wir bei der Inzidenz nicht mal nahe der 50er-Marke sind. Und falsch war übrigens auch der softe Lockdown von Anfang November. Im Land haben vor allem die Ausgangsbeschränkungen geholfen, die Inzidenz zu drücken. Der Handel, die Kultur, die Gastronomie hatten alle super Hygiene-Konzepte. Im Privatbereich gab es aber viele Nachlässigkeiten, und da waren die Ausgangsbeschränkungen ein gutes Mittel, um dagegen anzugehen. Und ganz unabhängig vom Treffen am Mittwoch: Bei den Schulen und Kitas haben die Kultusministerin und ich gesagt, wie sie mit einem guten Schutzkonzept und Schnelltest wieder öffnen können – sofern die Fallzahlen es erlauben.

Spahn: Klar ist: Wenn wir öffnen, dann zuerst Schulen und Kitas. Aber auch über den 14. Februar hinaus wird es wohl bei umfangreichen Beschränkungen bleiben müssen. Sonst können sich die Mutationen zu schnell ausbreiten.

Was halten Sie von der Debatte über Extra-Regeln oder mehr Freiheiten für Geimpfte?

Lucha: Wir sollten jetzt keine Unterschiede zwischen Geimpften und Ungeimpften machen. Mit dem Beginn des Impfens steigt die Impfbereitschaft. Es müssen 70 bis 80 Prozent mitmachen, damit der Schutz aller erreicht wird. Wenn wir das hinbekommen, ist das super. Aber da steht uns noch einiges bevor, wenn ich an die Gespräche mit Impfskeptikern gerade in meiner Heimat denke. Ich lade den Bundesminister herzlich ein, mich da zu begleiten. Da braucht er eine Wampe wie ich, um das gut auszuhalten (lacht).

Spahn (lacht): Gerne. Sobald das möglich ist. Übrigens geht es in dieser Debatte nicht um „mehr Freiheiten“ oder „Extra-Regeln“, sondern um Grundrechte. Und die Frage, ob es verhältnismäßig ist, die auch für Geimpfte einzuschränken. Solange nicht klar ist, ob Impfung die Ansteckung anderer verhindert, gelten staatliche Auflagen für alle. Und bei Maske tragen und Abstand halten wird es auch bei allgemeinen Regeln bleiben.

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