„Für mich ist Organspende eine Frage der Nächstenliebe.“

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat mit Stefan Rehder von der Tagespost über zentrale ethischen Fragen bei der Organspende, der Präimplantationsdiagnostik und der Sterbehilfe gesprochen.

Die Tagespost: Herr Bundesminister Spahn, im Zuge der Reform des § 219a Strafgesetzbuch haben Sie für eine Studie zur Erforschung der seelischen Folgen von Abtreibungen zusätzliche Haushaltsmittel in Höhe von fünf Millionen Euro, verteilt auf vier Jahre, beantragt...

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn: ...und auch bewilligt bekommen!

Daher: Wann startet die Studie?

Es wird wahrscheinlich nicht eine, sondern mehrere Studien geben. Je nach der Dauer des Ausschreibungsverfahrens werden diese voraussichtlich Ende 2019 beziehungsweise Anfang nächsten Jahres starten können.

Befürworter der ersatzlosen Streichung des § 219a StGB werfen Ihnen vor, Sie würfen mit der Studie Millionen zum Fenster raus, um Lebensrechtler zufriedenzustellen. Heißt übersetzt: Der Bundesgesundheitsminister missbraucht Steuergelder, um der Union Wählerstimmen zu sichern. Korrekt?

Ich bin bis heute irritiert, wie über diese Studie gesprochen wurde. Wer kann denn etwas dagegen haben, dass wir uns fragen, wie es Frauen vor und nach Abtreibungen geht? Ob sie Hilfe brauchen? Das sind doch offene Fragen. Wir machen eine wissenschaftliche und keine politische Studie. Selbst um die Kriterien für die Studie zu erarbeiten, haben wir wissenschaftliche Expertise eingebunden. Und wenn am Ende herauskommt, den Frauen geht es gut, dann ist das ein Ergebnis, das wir natürlich akzeptieren werden.

Ihre Kritiker behaupten, es gäbe längst ausreichend Studien.

Richtig ist: Es gibt Studien in anderen Ländern. Es gibt aber keine Studie, die die spezifische Situation in Deutschland angemessen in den Blick nimmt. Beim Schwangerschaftsabbruch haben wir in Deutschland ganz andere Beratungsstrukturen als etwa in Kalifornien. Deshalb macht es Sinn, zusätzliche Erkenntnisse zu gewinnen, die Frauen helfen könnten. Ich vermute mal, dass wir am Ende ein sehr differenziertes Bild herausbekommen werden, weil es „die eine Situation“ ja auch gar nicht gibt.

Sie streben einen Paradigmenwechsel bei der Organspende an. Warum?

Weil bis zu 10 000 Menschen auf ein Spenderorgan warten. Gleichzeitig haben wir einen Tiefstand bei den Organspenden. Deshalb möchte ich zunächst, dass wir darüber eine breite gesellschaftliche Debatte führen. Das sind wir denen schuldig, die auf eine Spende warten. Wir müssen feststellen, dass wir es in den letzten Jahren trotz besserer Aufklärung und mehr Information nicht geschafft haben, die Spenderzahlen zu steigern.

Deshalb ist mein Vorschlag, zu einer doppelten Widerspruchslösung zu kommen. Was mir dabei ganz wichtig ist, es geht nicht um eine Organ-Abgabepflicht. Man kann begründungsfrei „Nein“ sagen. Aber es gibt die Pflicht, sich damit zu beschäftigen. Auch das ist ein Eingriff in die Freiheit. Aber der ist angesichts des Leids der Patienten, die auf Spenderorgane warten, gerechtfertigt. Und dieser Eingriff ist auch gerechtfertigt, weil jeder von uns selber in die Situation kommen kann, auf ein Spenderorgan angewiesen zu sein. Ich bin überzeugt: Wir müssen die aktuelle Rechtslage ändern – im Interesse der anderen, aber auch in unserem eigenen Interesse.

Kritiker, darunter entschiedene Befürworter der Organspende, wie der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock, halten Ihnen vor, es gebe keinen Beleg dafür, dass die doppelte Widerspruchsregelung zu mehr Organspenden führe. Studien zeigen vielmehr, dass die Zunahme von Organspenden in anderen Ländern nicht mit der Einführung der Widerspruchsregelung korreliert, sondern mit der Verbesserung der Organisationsstrukturen. Sie selbst haben solche hierzulande erst kürzlich auf den Weg gebracht. Warum wollen Sie deren Ergebnisse nicht abwarten?

Zunächst einmal: Es gibt im Ethikrat auch andere Meinungen. Das Expertengremium hat sich zuletzt 2007 für eine Widerspruchsregelung ausgesprochen. Gleichwohl nehme ich die Argumente von Herrn Dabrock natürlich ernst. Es stimmt ja: Wir haben zum 1. April die Rahmenbedingungen für Transplantationen geändert. Es gibt mehr Personal, mehr Ressourcen, mehr Zeit für Transplantationsbeauftragte in Krankenhäusern, um Organspender zu identifizieren. Aber um Organspender identifizieren zu können, brauchen sie erst einmal Organspender, die ihre Bereitschaft zur Spende dokumentiert haben. Und deswegen gehören die Verbesserung der Organisationsstrukturen und die Frage, wie wir die Organspende grundsätzlich fördern wollen, aus meiner Sicht zusammen.

Ich weiß, dass es auch in der katholischen Kirche unterschiedliche Positionen zu dem Thema gibt. Auch ich war vor etwa sieben Jahren ein hartnäckiger Gegner der Widerspruchsregelung. Ich war der Meinung, dass mehr Information und Aufklärung reicht, um die Spenderzahlen zu steigern. Aber ich bin Katholik, und kein Ideologe. Und deshalb muss ich die Fakten akzeptieren: Trotz aller Aufklärung, trotz aller Kampagnen sind die Spenderzahlen nicht gestiegen, sondern sogar gesunken. Angesichts des Leids der Menschen, die auf Spenderorgane warten, muss ich abwägen. Und dabei bin ich für mich zu dem Ergebnis gekommen, eben doch die Widerspruchsregelung vorzuschlagen. Für mich ist Organspende eine Frage der Nächstenliebe.

Herr Bundesminister Spahn, im Zuge der Reform des § 219a Strafgesetzbuch haben Sie für eine Studie zur Erforschung der seelischen Folgen von Abtreibungen zusätzliche Haushaltsmittel in Höhe von fünf Millionen Euro, verteilt auf vier Jahre, beantragt ...

... und auch bewilligt bekommen!

Daher: Wann startet die Studie?

Es wird wahrscheinlich nicht eine, sondern mehrere Studien geben. Je nach der Dauer des Ausschreibungsverfahrens werden diese voraussichtlich Ende 2019 beziehungsweise Anfang nächsten Jahres starten können.

Befürworter der ersatzlosen Streichung des § 219a StGB werfen Ihnen vor, Sie würfen mit der Studie Millionen zum Fenster raus, um Lebensrechtler zufriedenzustellen. Heißt übersetzt: Der Bundesgesundheitsminister missbraucht Steuergelder, um der Union Wählerstimmen zu sichern. Korrekt?

Ich bin bis heute irritiert, wie über diese Studie gesprochen wurde. Wer kann denn etwas dagegen haben, dass wir uns fragen, wie es Frauen vor und nach Abtreibungen geht? Ob sie Hilfe brauchen? Das sind doch offene Fragen. Wir machen eine wissenschaftliche und keine politische Studie. Selbst um die Kriterien für die Studie zu erarbeiten, haben wir wissenschaftliche Expertise eingebunden. Und wenn am Ende herauskommt, den Frauen geht es gut, dann ist das ein Ergebnis, das wir natürlich akzeptieren werden.

Ihre Kritiker behaupten, es gäbe längst ausreichend Studien.

Richtig ist: Es gibt Studien in anderen Ländern. Es gibt aber keine Studie, die die spezifische Situation in Deutschland angemessen in den Blick nimmt. Beim Schwangerschaftsabbruch haben wir in Deutschland ganz andere Beratungsstrukturen als etwa in Kalifornien. Deshalb macht es Sinn, zusätzliche Erkenntnisse zu gewinnen, die Frauen helfen könnten. Ich vermute mal, dass wir am Ende ein sehr differenziertes Bild herausbekommen werden, weil es „die eine Situation“ ja auch gar nicht gibt.

Sie streben einen Paradigmenwechsel bei der Organspende an. Warum?

Weil bis zu 10 000 Menschen auf ein Spenderorgan warten. Gleichzeitig haben wir einen Tiefstand bei den Organspenden. Deshalb möchte ich zunächst, dass wir darüber eine breite gesellschaftliche Debatte führen. Das sind wir denen schuldig, die auf eine Spende warten. Wir müssen feststellen, dass wir es in den letzten Jahren trotz besserer Aufklärung und mehr Information nicht geschafft haben, die Spenderzahlen zu steigern.

Deshalb ist mein Vorschlag, zu einer doppelten Widerspruchslösung zu kommen. Was mir dabei ganz wichtig ist, es geht nicht um eine Organ-Abgabepflicht. Man kann begründungsfrei „Nein“ sagen. Aber es gibt die Pflicht, sich damit zu beschäftigen. Auch das ist ein Eingriff in die Freiheit. Aber der ist angesichts des Leids der Patienten, die auf Spenderorgane warten, gerechtfertigt. Und dieser Eingriff ist auch gerechtfertigt, weil jeder von uns selber in die Situation kommen kann, auf ein Spenderorgan angewiesen zu sein. Ich bin überzeugt: Wir müssen die aktuelle Rechtslage ändern – im Interesse der anderen, aber auch in unserem eigenen Interesse.

Kritiker, darunter entschiedene Befürworter der Organspende, wie der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock, halten Ihnen vor, es gebe keinen Beleg dafür, dass die doppelte Widerspruchsregelung zu mehr Organspenden führe. Studien zeigen vielmehr, dass die Zunahme von Organspenden in anderen Ländern nicht mit der Einführung der Widerspruchsregelung korreliert, sondern mit der Verbesserung der Organisationsstrukturen. Sie selbst haben solche hierzulande erst kürzlich auf den Weg gebracht. Warum wollen Sie deren Ergebnisse nicht abwarten?

Zunächst einmal: Es gibt im Ethikrat auch andere Meinungen. Das Expertengremium hat sich zuletzt 2007 für eine Widerspruchsregelung ausgesprochen. Gleichwohl nehme ich die Argumente von Herrn Dabrock natürlich ernst. Es stimmt ja: Wir haben zum 1. April die Rahmenbedingungen für Transplantationen geändert. Es gibt mehr Personal, mehr Ressourcen, mehr Zeit für Transplantationsbeauftragte in Krankenhäusern, um Organspender zu identifizieren. Aber um Organspender identifizieren zu können, brauchen sie erst einmal Organspender, die ihre Bereitschaft zur Spende dokumentiert haben. Und deswegen gehören die Verbesserung der Organisationsstrukturen und die Frage, wie wir die Organspende grundsätzlich fördern wollen, aus meiner Sicht zusammen.

Ich weiß, dass es auch in der katholischen Kirche unterschiedliche Positionen zu dem Thema gibt. Auch ich war vor etwa sieben Jahren ein hartnäckiger Gegner der Widerspruchsregelung. Ich war der Meinung, dass mehr Information und Aufklärung reicht, um die Spenderzahlen zu steigern. Aber ich bin Katholik, und kein Ideologe. Und deshalb muss ich die Fakten akzeptieren: Trotz aller Aufklärung, trotz aller Kampagnen sind die Spenderzahlen nicht gestiegen, sondern sogar gesunken. Angesichts des Leids der Menschen, die auf Spenderorgane warten, muss ich abwägen. Und dabei bin ich für mich zu dem Ergebnis gekommen, eben doch die Widerspruchsregelung vorzuschlagen. Für mich ist Organspende eine Frage der Nächstenliebe.

Künftig soll jeder „Organspender“ sein, wenn er nicht zuvor ausdrücklich der Nutzung seiner Organe widersprochen hat. Dabei ist bereits fraglich, ob eine Änderung des Zustimmungsmodus überhaupt einen nennenswerten Einfluss auf die Zahl der Organspenden hat.

Sie behaupten, die Widerspruchsregelung bedeute keine Organabgabepflicht, sondern eine Pflicht, sich mit der Organspende auseinanderzusetzen. Müssten dann aber nicht alle Informationen auf den Tisch, also auch die Zweifel, die Fachleute an der Gleichsetzung des Hirntods mit dem Tod des Menschen anmelden?

Ich finde es wichtig, auch diese Fragen zu diskutieren. Das Schlimmste für eine Debatte ist, wenn es heißt, dass etwas nicht besprochen werden darf. Also müssen und werden wir uns auch mit der Frage des Hirntodes auseinandersetzen.

Auseinandersetzen heißt aber nicht, Kritikern das Wort zu reden. Die Bundesärztekammer und alle relevanten medizinischen Fachgesellschaften sind sich einig, dass der Hirntod naturwissenschaftlich der Tod des Menschen ist. Das werden wir in der Debatte deutlich machen. Wen das nicht überzeugt – sei es aus religiösen oder aus ganz persönlichen Erwägungen – der kann sich immer noch gegen die Organspende aussprechen. Das bleibt weiterhin möglich.

Der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte, Krankenhäuser und Gesetzlichen Krankenkassen (G-BA) will nichtinvasive Gentests auf Trisomien zur Leistung der Gesetzlichen Krankenkassen machen. Eine gute Idee?

Der G-BA ist an Recht und Gesetz gebunden. Er bewertet neue Behandlungsmethoden streng nach medizinischem Nutzen. In diesem Fall geht es darum, ob die Tests aussagefähig sind. Das muss der G-BA eindeutig mit „Ja“ beantworten. Zumal die Alternative zu diesen Tests, nämlich die Fruchtwasseruntersuchung, mit viel höheren Risiken für das ungeborene Leben verbunden ist. Die Kosten für diese Untersuchung werden übrigens schon seit Jahrzehnten von den Kassen bezahlt. Das geht in der gesellschaftlichen Debatte leider häufig unter.

Müsste man deshalb nicht darüber nachdenken, auch die Amniozentese aus dem Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenkassen zu streichen? Schließlich wird mit ihr – etwa im Falle des Down-Syndroms – nach genetischen Besonderheiten gefahndet, für die es überhaupt keine Therapie gibt. Mit der Folge, dass mehr als 90 Prozent der Kinder mit Down-Syndrom abgetrieben werden.

Ob solche Tests durchgeführt werden dürfen oder nicht, ist eine Debatte, die nicht der G-BA zu führen hat. Das muss der Bundestag entscheiden. Und der hat das schon einmal entschieden, diese Tests gibt es schon lange. Die entscheidende Frage lautet: Darf werdenden Eltern das Wissen um eine entsprechende Disposition des Kindes vorenthalten werden? Wer sagt, solche Tests darf es gar nicht geben, der versperrt den Zugang zu Wissen.

Ich fände es anmaßend, Eltern zu sagen, obwohl ihr das wissen könntet, dürft ihr das nicht wissen. Eine ganze andere Frage ist: Welche Entscheidungen folgen aus einem solchen Wissen? Und da ist es, meine ich, Aufgabe von Politik und Gesellschaft, Eltern die Entscheidung für das Leben möglichst leicht zu machen. Da geht es dann um Fragen wie: Welchen politischen Rahmen setzen wir hier? Wie gut sind unsere Hilfesysteme und wie ist es um die gesellschaftliche Akzeptanz von Menschen mit Behinderung bestellt? Denn natürlich stellen Behinderungen das Leben von Menschen und ihren Familien vor Herausforderungen. Wer anderes behauptet, macht sich etwas vor.

Eng verwandt mit den nichtinvasiven Gentests ist die Präimplantationsdiagnostik (PID). Die PID ist in Deutschland grundsätzlich verboten. Über Ausnahmen entscheiden regionale Ethikkommissionen. Sie haben die PID mit einem Änderungsantrag zu ihrem eigenen Terminservice- und Versorgungsgesetz zur Kassenleistung machen wollen. Kolportiert wird, Ihre Fraktion habe Sie dabei gestoppt. Korrekt?

Nein. Es hat sich einfach gezeigt, dass es hier noch weiteren Diskussionsbedarf gibt, der über die Frage – Kassenleistung Ja oder Nein – hinausgeht. Viele Abgeordnete wollten wissen, wie viele PID mit Erlaubnis der regionalen Ethikkommissionen bislang durchgeführt wurden und ob es regionale Unterschiede gibt. Das Bundesgesundheitsministerium legt alle vier Jahre einen PID-Bericht vor, um die Entwicklung auf diesem Gebiet zu dokumentieren. Der nächste Bericht wird im Herbst vorliegen. Auf dieser Grundlage werden wir das Thema dann noch einmal aufgreifen und diskutieren.

Im Übrigen habe ich im Bundestag gegen die PID gestimmt. Und ich würde das heute wieder tun. Aber das Parlament hat diese Diagnoseform in Ausnahmefällen wie schweren Erbkrankheiten erlaubt. Das akzeptiere ich. Übrigens hat die Debatte um die PID auch noch eine soziale Dimension. Denn diese Untersuchung ist ziemlich teuer, sogar deutlich teurer als eine normale künstliche Befruchtung. Die Frage ist also: Wenn etwas erlaubt ist, dürfen das dann nur die, die es sich auch leisten können? Oder muss das Erlaubte dann nicht jedem möglich sein? Das war die zentrale Überlegung hinter dem gesetzlichen Vorschlag für eine Kostenübernahme durch die Krankenkassen. Aber ich finde es völlig in Ordnung, wenn wir das jetzt noch einmal in einem breiteren Kontext diskutieren.

Sie werden massiv angefeindet, weil Sie dem Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) untersagt haben, Pentobarbital an Menschen abzugeben, die sich selbst töten wollen. Stört Sie das?

Kritik gehört zur Politik. Aber ich bekomme auch Briefe von betroffenen Patienten, die sich sehr persönlich mit dem Thema auseinandersetzen. Sie fragen: „Warum lassen Sie mich nicht sterben und mein Leiden beenden?“ Das lässt einen nicht kalt, mich jedenfalls nicht. Trotzdem ändert das meine Haltung zum Thema nicht.

Klären Sie uns auf.

Sterbehilfe darf nicht geschäftsmäßig organisiert sein. Das hat der Bundestag entschieden. So steht es im Paragrafen 217 Strafgesetzbuch. Daran bin ich als Bundesgesundheitsminister gebunden. Wenn ich dem Gedanken folge, darf ich keinem Bundesamt erlauben, Arzneimittel zur Selbsttötung abzugeben. Denn das wäre die höchste Form der organisierten Sterbehilfe – über die Staatsorganisation, eine Behörde. Und das hätte fatale Konsequenzen. Denn der Beamte im BfArM würde am Ende – und zwar völlig zu Recht – mich fragen: Herr Minister, nach welchen Kriterien soll ich jetzt entscheiden? Um es klar zu sagen: Es widerstrebt allem, woran ich glaube und was ich denke, dass am Ende Beamte und Minister die Kriterien festlegen, nach denen jemand mit Staatsunterstützung sterben darf oder nicht.

Warum?

Weil das ganz schnell auf die ganz schiefe Bahn gerät. Da wird am Ende aus dem Sterben-dürfen ein Sterben-sollen. Das sehen wir ja in anderen Ländern. Ich bin nahe der Grenze zu den Niederlanden groß geworden. Mittlerweile sind dort viele von denen, die dort die Mittel zur Sterbehilfe bekommen, Demenzkranke. Und ob das in jedem Fall die eigene Entscheidung der Demenzkranken war, dahinter setze ich zumindest ein Fragezeichen. Das Bundesverfassungsgericht beschäftigt sich aktuell mit dem § 217 StGB. Bis zu diesem Urteil werden wir keinem Ersuchen um Herausgabe von Mitteln zur Selbsttötung stattgeben.

Letzter Punkt: Sie wollen sogenannte Konversionstherapien gesetzlich verbieten? Warum?

Weil Homosexualität keine Krankheit ist und nicht therapiert werden muss. Es ist sogar umgekehrt richtig: Konversationstherapien schaden. Das hat gerade erst ein medizinisches Gutachten ergeben, das Professor Briken vom Universitätsklinikum Hamburg in unserem Auftrag erstellt hat. Solche Angebote verursachen häufig psychisches Leid, das sich bei Betroffenen auch psychosomatisch niederschlagen kann. Das heißt: Wer Konversionstherapien praktiziert, begeht im Grunde Körperverletzung. Das müssen wir unterbinden.

Aber messen Sie hier nicht mit zweierlei Maß? Geschlechtsumwandlungen sind auch nicht verboten und werden sogar von den Krankenkassen finanziert.

Wenn Sie medizinisch indiziert sind.

Wenn es statthaft ist, sein Geschlecht zu ändern, wenn das angeborene einem Leid verursacht, warum soll sich dann nicht auch derjenige Hilfe suchen dürfen, der seine Neigung zum selben Geschlecht als Leid empfindet?

Dagegen bin ich ja gar nicht. Wer Hilfe benötigt, weil er oder sie mit seinem Schwul- oder Lesbischsein hadert, der soll sie bekommen.

Eine Therapie, die ihn oder sie stark macht und Menschen hilft, mit ihrer homosexuellen Orientierung besser zurechtzukommen, die wird natürlich auch in Zukunft weiter möglich sein. Aber eine „Therapie“, die suggeriert, irgendetwas stimmt mit dir nicht, du bist krank und musst behandelt werden oder – noch verrückter – bei dir muss der Teufel ausgetrieben werden, die kann und will ich nicht akzeptieren. Deswegen war es mir auch sehr wichtig, die Kirchen zu der Arbeitsgruppe einzuladen, die wir zu diesem Thema einberufen haben. Und ich bin froh, dass die Kirchen der Einladung gefolgt sind.

Und worum geht es dort genau?

Es geht darum, zu schauen, ob wir nicht eine gemeinsame Basis finden für das, was unter Seelsorge fällt, also die Begleitung von Menschen in einer schwierigen Lebenslage. Es gibt eben Menschen, die mit sich und der Erkenntnis, schwul oder lesbisch zu sein, hadern. Da muss man dann fragen, wie sich das unterscheiden lässt von illegitimen Therapieversuchen, die suggerieren, irgendetwas stimme mit einem nicht. Natürlich ist der, der solche Therapien professionell anbietet, auch hinsichtlich der möglichen Sanktionsmechanismen ganz anders zu beurteilen als jemand, der ein seelsorgerisches Gespräch anbietet. Das gilt es jetzt gut zu differenzieren. Und deshalb war es mir ganz wichtig, die Kirchen hier von Anfang an mit an Bord zu haben. So wie es mir übrigens bei all diesen Debatten wichtig ist, die Kirchen mit einzubinden.

Klären Sie uns erneut auf?

Die Meinung und die Stimme der Kirchen mit einzubinden, heißt ja nicht, dass wir deren Positionen eins zu eins in Politik umsetzten. Das widerspräche meinem Selbstverständnis als Politiker und Katholik. Ich bin vom Volk gewählt und nicht von der Kirche ernannt. Und am Ende muss ich gesellschaftliche Mehrheiten finden und einen Ausgleich von Interessen ermöglichen. Für mich ist Christsein, ist Katholiksein, eher eine Haltung, die es mir ermöglicht, mit einem besonderen Blick auf die Welt zu schauen und sie so zu nehmen, wie sie ist. Paradies – das macht jemand anderes. Aus diesem Wissen und nicht etwa aus Utopien oder Ideologien heraus zu handeln, das ist mir wichtig.

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