Spahn: Konkrete Verbesserungen schaffen Vertrauen

Die Pflege besser machen, Kinder vor Masern schützen, Chancen der Digitalisierung nutzen, für schnellere Arzttermine sorgen: Im Interview mit Robin Alexander und Thomas Vitzthum von der Welt am Sonntag erklärt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, wie er sich für die Belange der Bürger einsetzen will.

Welt am Sonntag: Herr Spahn, Annalena Baerbock oder Robert Habeck? Unter welchem grünen Regierungschef möchten Sie lieber Minister sein?

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn: Ich bin gerne Gesundheitsminister im Kabinett von Angela Merkel.

Hätten Sie gedacht, dass die Grünen in Umfragen einmal vor der Union liegen könnten?

Bei Wählerwanderungen sollte man auch mit Blick auf die Entwicklung in anderen europäischen Ländern gar nichts mehr für unmöglich halten. Seit der Bundestagswahl 2017 hat sich die politische Landschaft radikal verändert. Das nehmen wir als Warnung und Auftrag sehr ernst! Mich beunruhigt, dass uns zu viele Bürger weniger vertrauen als früher. Und sie trauen uns weniger Gestaltungswille und -macht zu.

Woran liegt das?

Auch daran, dass wir ständig Personal- statt Sachdebatten führen.

Okay, die Medien stellen die falsche Fragen. Könnte es sein, dass der Niedergang der Volksparteien und der Hype um die Grünen auch noch Ursachen darüber hinaus hat?

Die Kombination von Thema, Angebot und Auftritt der Grünen passt gerade gut zusammen. Das erkenne ich an. Die Stärke der Grünen resultiert aus einem Generationenwechsel verbunden mit einem Stilwechsel. Annalena Baerbock und Robert Habeck kommunizieren ihr Thema deutlich und einmütig, das macht sie attraktiv. Wenn wir davon als CDU lernen wollen, müssen wir fragen: Was sind unsere Themen? Und was ist unser Team, nicht nur für heute, sondern auch für die politischen Auseinandersetzungen der nächsten Dekade?

Zurzeit scheint es nur ein Thema zu geben. Den Klimaschutz.

So schmal wie die Grünen können wir als CDU nicht auftreten. Dieses Thema allein wird der nationalen und internationalen Problemlage auch nicht gerecht. Wir brauchen nicht nur Antworten auf den Klimawandel, sondern eine Agenda für die 20er-Jahre. Da sind Fragen zu beantworten: Wie wollen wir die Digitalisierung gestalten? Wie den demografischen Wandel? Wie können wir innere und äußere Sicherheit garantieren? Die soziale Marktwirtschaft stärken? Die Debatten, die wir stattdessen führen, sind zu oft klein-klein.

Sind die Grünen da weiter?

Nein, im Gegenteil. Die Grünen haben nur ein Thema, den Klimaschutz, und nicht einmal dafür ein schlüssiges Finanzierungskonzept vorgelegt. Einen Klimafonds in Höhe von 100 Milliarden Euro zu fordern, fällt vermutlich leichter als zu sagen: wir wollen die Steuern erhöhen. Ich glaube nicht, dass sie damit auf Dauer durchkommen.

Steht der von Ihnen geforderte Generationen- und Stilwechsel bei der CDU noch an? Oder ist er mit dem Wechsel von Angela Merkel zu Annegret Kramp-Karrenbauer schon geschehen?

Das war der Anfang. Die inhaltliche und personelle Erneuerung hört damit aber nicht auf. Natürlich ist das anspruchsvoll. Denn wir sind in der Regierung und nicht in der Opposition. Aber ich bin sicher: Es wird uns gelingen. Wir wollen dieses Land weiter in eine gute Zukunft führen.

Angela Merkel hat gesagt, die Trennung von Kanzleramt und Parteivorsitz sei ein Experiment. Ist dieses Experiment gescheitert?

Nein, das war nach 14 Jahren an der Regierung richtig und bleibt es weiter. Die Trennung von Kanzleramt und Parteivorsitz kann eine große Chance sein: Die Partei denkt weiter, zeigt großes Kino und Leidenschaft in spannenden Debatten, um eine Agenda für das nächste Jahrzehnt zu erarbeiten. Und gleichzeitig zeigen wir in der Regierung: Wir führen dieses Land gut durch die Gegenwart.

Ist Kramp-Karrenbauer schon die Erneuerung der CDU oder kommt die Erneuerung noch?

Natürlich ist eine neue Vorsitzende nach 18 Jahren eine Erneuerung. An der inhaltlichen Neuaufstellung arbeiten wir gerade.

Ist die CDU politisch stärker geworden, seit Annegret Kramp-Karrenbauer Vorsitzende ist oder schwächer?

Die Umfragen sind offenkundig nicht so, wie wir uns das wünschen. Positiv ist, dass wir wieder offener Debatten führen, das tut der Partei sehr gut. Und es wird die CDU stärker machen, wenn unsere ganze inhaltliche Breite wieder durch unterschiedliche Charakterköpfe wahrnehmbar wird. Aber das muss sich entwickeln.

Wo liegt das Problem, das Frau Kramp-Karrenbauer gerade hat?

Annegret Kramp-Karrenbauer hat die schwere Aufgabe gemeistert, die CDU nach einer äußerst knappen Entscheidung um den Parteivorsitz wieder zusammen zu führen. Kramp-Karrenbauer hat die Sprachlosigkeit überwunden, die in den letzten drei, vier Jahren in unserer Partei etwa bei der Migrationsfrage herrschte. Und sie hat mit Markus Söder CDU und CSU wieder versöhnt. Das sind große Verdienste!

Was halten Sie von der Analyse, die CDU sei unter AKK zu weit nach „rechts“ gerückt und habe die Mitte den Grünen überlassen?

Was mir wirklich auf den Senkel geht, sind Debatten, in denen nur danach gefragt wird, wie wir an Mehrheiten kommen. An erster Stelle steht doch die Frage, wofür wir Mehrheiten wollen! Ich bin nicht in die Christliche Demokratische Union gegangen, um irgendwie zu irgendeiner Mehrheit zu kommen. Ich will Mehrheiten, um die Dinge umzusetzen, die uns wichtig sind. Um Deutschland als das zu bewahren, was es seit Jahrzehnten ist: ein wettbewerbsfähiges Land, eine aufgeschlossene Zivilgesellschaft, eine starke Demokratie mitten in Europa, ein verlässlicher Rechtsstaat. Und das ist keine Frage von links oder rechts.

Hätte die CDU besser über Klima reden sollen als über Migrationspolitik?

Da gibt es kein Entweder-Oder! Ich bin für besseren Grenzschutz und für mehr Klimaschutz! Meine Analyse der Bundestagswahl mit Angela Merkel wie auch der Europawahl mit Annegret Kramp-Karrenbauer ist die gleiche: Immer weniger Bürger glauben an die Entscheidungs- und Durchsetzungsfähigkeit des Staates. Deshalb sind die Prediger der Apokalypse so erfolgreich. Die einen predigen die Klima-Katastrophe, die anderen die Migrations-Katastrophe. Die Antwort der CDU muss jeweils die gleiche sein: Besonnen, zuversichtlich, aber auch entschieden Antworten geben auf Klimaveränderungen, Migration und Integration, aber auch in der Pflege und zum digitalen Wandel. Den Apokalyptikern müssen wir Konzepte, Substanz und konkretes Entscheiden entgegensetzen.

Was ist denn das CDU-Konzept zum Klimaschutz?

Wir setzten auf eine intelligente Bepreisung von CO2. Dazu führen wir jetzt das Gespräch mit Wirtschaft und Wissenschaft und entscheiden dann im Herbst.

Könnte das auch die CO2-Steuer sein?

Erst die Expertise – dann die Details…

Ist es gut für Deutschland, wenn sich die Kanzlerin als Gegensatz zu Donald Trump feiern lässt?

Das habe ich so nicht wahrgenommen. In der Bewertung der internationalen Lagen sollten uns allerdings die Maßstäbe nicht verrutschen. Wir können die USA, China und Russland nicht in einem Atemzug nennen, als ginge es hier um Äquidistanz. Was soll das? Hier Staaten mit autokratischen Führern, in denen es weder Rechtsstaat noch Meinungsfreiheit gibt. Dort die USA, eine traditionsreiche Demokratie. unser Bündnispartner, dem Deutschland so viel zu verdanken hat. Dieser engen Partnerschaft sind wir es auch schuldig, unseren Teil für die gemeinsame Verteidigung unserer Werte zu erfüllen. Europa muss aus eigenem Interesse verteidigungsfähig werden. Gerade im Osten des Kontinents gibt es daran ein hohes Interesse. Auch dafür wird die Union streiten. 

Donald Trump will noch einmal Präsident werden. Wie sollte die CDU damit umgehen?
Gar nicht. Der Präsidentschaftswahlkampf ist Sache der USA. Und in der Sache müssen wir streiten, wenn wir mit dem amtierenden Präsidenten verschiedener Meinung sind. Aber wir müssen ihn auch unterstützen, wenn wir derselben Meinung sind. Die Irritationen, die Trump mit seiner Twitterei auslöst, verstellen häufig den Blick für die Realität. Trump hat ja Recht, wenn er etwa dem Iran Druck macht. Auch wir wollen, dass das Land keine Atomwaffen besitzt. Unser Weg dahin ist nur ein anderer und darum ringen wir mit den USA. Aber wir wollen letztlich das gleiche.

Was kann Deutschland im Iran-Konflikt tun?

Einem Regime, das Menschen foltert, das Existenzrecht Israels in Frage stellt, Frauen Grundrechte verwehrt und Schwule hinrichtet, können wir nicht auf Augenhöhe begegnen. Wir können hier nicht der neutrale Vermittler sein. Wir sind da natürlich parteiisch. Mit dem iranischen Regime haben wir nichts gemein – gar nichts. Was wir aber leisten können, ist, mitzuhelfen, dass dieser Konflikt nicht weiter eskaliert. Wir müssen als Deutsche und Europäer den iranischen Machthabern klarmachen, für welche Werte wir stehen und welche Konsequenzen ihr Handeln hat.

Sie haben als neuer Minister sofort zahlreiche Kontroversen gesucht. Warum?

Mein persönlicher Antrieb ist, den Menschen wieder Vertrauen in die Funktionsfähigkeit des Staates zurückzugeben. Dazu gehört es, Pflege besser zu machen, Kinder vor Masern zu schützen, für schnellere Arzttermine zu sorgen. Dazu gehört, die Chancen der Digitalisierung zu nutzen und endlich die elektronische Patientenakte zum Laufen bringen. Die Bürger sehen das, was in ihrem Alltag nicht funktioniert, als Beleg für staatliches Versagen. Letztlich ist die Frage, wie leicht man einen Arzttermin bekommt, ebenso Zeichen von staatlicher Handlungsfähigkeit wie ein funktionierender Grenzschutz. Ich bin überzeugt: Wenn wir konkret den Alltag der Menschen besser machen, werden wir Vertrauen zurückgewinnen. So können wir zeigen: Es macht einen Unterschied, wer regiert.

Haben Sie nur so viel so schnell angefasst, weil sie nicht glauben, dass die Groko lange hält?

Nein. Ich bin in der Lage, ein hohes Tempo vorzulegen, weil ich mich auf meine Mitarbeiter im Ministerium verlassen kann. Und weil ich die Materie kenne. Ich habe schon vor der Übernahme des Ministeriums 14 Jahre Gesundheitspolitik gemacht. Das hilft.

Gibt es die Koalition Ende des Jahres noch?

Ja.

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