Bleibt politisch, werdet konkret

Gastbeitrag von Jens Spahn in DIE ZEIT

Was jeden Freitag in rund 150 deutschen Städten und Gemeinden, in Europa und auf der ganzen Welt geschieht, hat viele überrascht: Junge Menschen demonstrieren mit Leidenschaft für den Klimaschutz. Umfassender soll die Klimapolitik werden, am besten mit einem sofortigen Kohleausstieg. So wie „die Alten“ es machen, könne es jedenfalls nicht weitergehen.

Oft war in den letzten Jahren zu lesen, die Jugend sei unpolitisch, fast schon desinteressiert. Mehr mit ihrem Instagram beschäftigt als mit gesellschaftlichem Engagement und Politik. Die Fridays-for-Future-Bewegung zeigt gerade ein anderes Bild dieser Generation: politisch und engagiert.

Den Älteren fällt es scheinbar nicht leicht, damit umzugehen. Viele Reaktionen schwanken zwischen undifferenziertem und überschwänglichem Lob oder pauschaler Kritik. Wirklich ernst genommen werden die Schülerinnen und Schüler mit ihrem Anliegen und in ihrem Tun mit beidem nicht.

Mich freut das politische Engagement. Wer die Schüler ernst nimmt, muss sie gleichzeitig fragen: Wie soll es konkret weiter gehen? Was schlagt Ihr vor, welche Folgen haben Eure Vorschläge für wen – und wie gehen wir konkret mit diesen Folgen um? Und: Ist eine Demo zur Schulzeit der erfolgversprechende Weg? Gegen wen oder was streikt Ihr? Wen setzt ihr mehr unter Druck – Eure Lehrer, die Politiker, Eure Eltern – oder Euch selbst? Würde es Euer Anliegen nicht sogar mehr Nachdruck verleihen, nur nach der Schule zu demonstrieren?

Meine Erfahrung ist: Wer mithelfen will, etwas zu verändern, der ist dort am besten aufgehoben, wo konkret entschieden wird. Vor Ort, in Debatten und Projekten mit klarem Ziel, und in den Parteien. Als ich 1995 mit 15 Jahren in Ahaus-Ottenstein in die Junge Union eingetreten bin, habe ich Anerkennung dafür erfahren, dass sich jemand in meinem Alter engagiert. Ich habe Freunde und Bekannte geworben, wir Jungen wurden immer mehr. 1999 wurde ich in den Stadtrat gewählt.

Damals haben wir für ein offenes Jugendcafé ins Ahaus und Nachtbusse am Wochenende zu den großem Discos und nach Münster gekämpft. Wir haben gespürt: unsere kleine städtische Gemeinschaft bleibt nur interessant für junge Menschen, wenn sie fürs Freizeitangebot oder auch die Party am Wochenende nicht immer weit fahren oder gar ganz wegziehen müssen. So etwas mag auf den ersten Blick nicht wie eine politische Großtat wirken. Doch in Wahrheit sind es genau diese vielen vermeintlich kleinen Taten und Entscheidungen, die unser Land und unser Zusammenleben am stärksten prägen. Genau dieses konkrete, alltägliche Handeln ist der Grund, warum unsere Gesellschaft funktioniert.

Als Abgeordneter mit Anfang 20 in ein Parlament mit überwiegend älteren Herren zu kommen, war nicht immer ein Zuckerschlecken. Ja, es gibt auch Vorurteile gegenüber jungen Menschen. Die Parteien könnten besser darin sein, ihnen auf allen Ebenen den Einstieg zu erleichtern.

Aber nur wenn auch die Jüngeren im politischen Betrieb die Regel und nicht mehr die Ausnahme sind, kann sich das ändern. Deshalb rufe ich allen zu, die da freitags demonstrieren oder mit den Schülern sympathisieren: Ihr selbst könnt die Veränderung sein. Holt Eure Freunde und Bekannten an Bord, bringt Euch konkret ein – in der Schule, in Eurem Dorf, Eurer Stadt, in Projekten, in Vereinen, in Kirchen und ja, auch in Parteien. Meine Entscheidung für die CDU hat viel mit den Menschen zu tun gehabt, die mich ermutigt und unterstützt haben bei meinem Engagement.

Als junger Mensch hat man in Parteien heute wahrscheinlich so gute Chancen wie nie. Alleine schon, weil engagierter Nachwuchs an vielen Stellen fehlt. Wer jetzt mit 16 oder 20 eintritt, kann in zehn Jahren Abgeordneter oder Bürgermeister sein. Stellt Euch vor, was ihr alles besser machen könnt. Diskutiert Eure Anliegen, stellt sie und euch zur Wahl, sammelt Mehrheiten, setzt Eure Ideen um!

Wer einmal spürt, dass das eigene politische Engagement konkrete Veränderung bewirkt, der verliert sein Ziel nicht aus den Augen, der macht immer weiter. Ein Projekt finanziert bekommen, das einem am Herzen liegt, eine Abstimmung zu einem Thema gewinnen für das man wochenlang geworben hat, selbst in die Position kommen, in der man stellvertretend für andere Entscheidungen treffen kann – das ist ein großartiges Gefühl, egal, ob im Stadtrat oder im Bundestag.

Dagegen wird der Weg ausschließlich über die Straße vermutlich in die Enttäuschung führen. Erstens, weil das Argument zu kurz greift, für ein wichtiges Thema nicht in die Schule zu gehen. Das kann dauerhaft nicht funktionieren. Auch wohlwollende Bildungsministerinnen und -minister werden früher oder später auf die Schulpflicht pochen müssen - schon um Euer selbst willen. Und: wer soll entscheiden, für welche Themen die Schule geschwänzt werden darf und für welche nicht? Wäre es auch für Papas Job im Braunkohletagebau okay?

Zweitens wird es den großen, einfachen Wurf, der alle Probleme löst, wahrscheinlich nicht geben.  Gerade beim Klimaschutz stellt uns ja vor allem die Komplexität vor die größte Herausforderung. Energieerzeugung, Mobilität und unsere alltägliche Lebens- und Ernährungsweise greifen Hand in Hand. Unsere Demokratie ist darauf ausgelegt, nach Ausgleich und Kompromissen zu suchen. Ja, das dauert manchmal länger als es einem lieb ist. Aber: es ist der richtige Weg.

Deutschland hat sich selbst ehrgeizige Klimaziele gesetzt. Es fällt uns trotz großer Anstrengung schwer, sie einzuhalten. Würden da neue, drastischere Ziele dabei helfen? Ich denke nicht. Schon der Kohleausstieg bis 2038 wird ein Kraftakt. Er hat konkrete Auswirkungen für die Zukunft ganzer Regionen und für tausende Beschäftigte und ihre Familien. Und mehr Stromtrassen braucht es dafür auch. Zudem ist schon jetzt klar: Der Anteil Deutschlands am weltweiten Co2-Ausstoß ist zu gering, um an dieser Front alleine wirklich den entscheidenden Beitrag zu leisten. Was wir aber schaffen können, ist ein Vorbild für andere zu sein. Indem wir zeigen, dass Wohlstand und Ökologie zusammen funktionieren, wettbewerbsfähig und nachhaltig. Das schaffen wir nur als Gesellschaft gemeinsam und zwar mit konkretem Handeln vor Ort, jeden Tag.

Deshalb meine Aufforderung an die jungen Demonstranten: Werbt in der Schule dafür, dass ihr nicht im Flugzeug, sondern mit dem Zug auf Abschlussfahrt geht. Lasst die Einwegbecher im Café stehen. Kauft keine in Plastik verschweißten Äpfel mehr. Kämpft dafür, dass eure Stadt ihre Gebäude energetisch saniert. Dass es Parkplätze mit Ladesäulen für E-Autos gibt. Habt Ideen, wie man die Lebensmittelverschwendung reduziert. Macht euch vor Ort für den Bau von Stromtrassen stark. Werdet Ingenieurinnen und entwickelt neue ökologische Technologien. Gründet Unternehmen, die mit einem nachhaltigen Geschäftsmodell Geld verdienen und Arbeitsplätze schaffen. Zieht in die Parlamente ein und packt bei der Energiewende, dem Emissionshandel und internationalen Klimaabkommen mit an.

Und: habt Zuversicht. Ich verstehe Eure Sorgen um eine gute Zukunft. Ich bin aber sicher, wir können die Herausforderungen meistern. Wir sind beim Klimaschutz auf dem richtigen Weg und der technologische Wandel gibt uns neue Instrumente in die Hand.

Liebe Fridays-for-Future-Schülerinnen und -Schüler, man kann als junger Mensch etwas verändern und für politischen Fortschritt sorgen. Und Ihr habt Recht, dafür muss man auch mal laut werden. Aber langfristig reicht das nicht. Veränderung ist immer konkret. Unser Grundgesetz feiert dieses Jahr seinen 70. Geburtstag. Parteien werden dort explizit erwähnt. Ohne sie ist auch heute kein Staat zu machen – und Klimaschutz auch nicht. Macht mit, Ihr werdet gebraucht – und seid herzlich willkommen. Bleibt politisch, aber werdet konkret!

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