„Genommedizin kann Leben retten“

Die Initiative genomDE will die Genommedizin in Deutschland voranbringen und den Patientinnen und Patienten so eine schnellere und bessere Versorgung zugutekommen lassen. Im Interview erklärt der Verbundkoordinator Sebastian C. Semler von der TMF e.V., wie die Initiative das erreichen will.

Foto von Verbundkoordinator Sebastian C. Semler von der TMF e.V.
Der Verbundkoordinator Sebastian C. Semler von der TMF e.V. treibt mit seinen Kolleginnen und Kollegen der Initiative genomDE die Genommedizin in Deutschland voran.

Was ist Genommedizin?

Sebastian C. Semler: Bei der Genommedizin geht es darum, die Zusammenhänge zwischen Genom und Erkrankung sowie zwischen Genom und Therapie zu verstehen und diese Erkenntnisse zum Wohle der Patientinnen und Patienten einzusetzen. Ganz konkret kann die Genommedizin etwa dabei helfen, genetisch bedingte Krankheiten zu diagnostizieren oder das Risiko für eine erbliche Krebserkrankung abzuschätzen. Auch bei der Therapiefindung spielt sie eine immer größere Rolle. Mithilfe der Genommedizin können die Ärztinnen und Ärzte eine individuelle Behandlung festlegen und somit Nebenwirkungen von zum Teil unwirksamen Therapien für die Patientinnen und Patienten vermeiden.

Wo steht die Genommedizin in Deutschland aktuell?

Glückerweise haben wir eine große Expertise in Deutschland und die Versorgung in den ausgewiesenen Kompetenzzentren ist gut. Man muss sich klarmachen, dass ein einzelner Arzt oder eine einzelne Ärztin in der Niederlassung einen speziellen Fall viel zu selten sehen, um daraus Behandlungsmöglichkeiten abzuleiten. Mit der Verknüpfung der Daten aus spezialisierten Zentren in ganz Deutschland ergeben sich jedoch ganz neue Möglichkeiten für die genomische Medizin. Das kann im besten Fall Leben retten. Was diese Infrastrukturen angeht, haben wir allerdings noch Nachholbedarf. Mit der Initiative genomDE wollen wir diese Strukturen noch stärker ausbauen – unter Nutzung und Zusammenführung etablierter Infrastrukturen in Versorgung und Forschung und unter partnerschaftlicher Einbeziehung der Patientenvertretungen.

Wie sehen die Ziele der noch recht jungen Initiative genomDE konkret aus?

Wir wollen mit Genanalysen dazu beitragen, Diagnosen und Behandlungen zu beschleunigen und zu verbessern etwa durch weniger Nebenwirkungen. Der Fokus liegt gemäß Förderaufruf zunächst auf Krebs und den sogenannten Seltenen Erkrankungen, weitere Indikationsfelder sollen zukünftig mit eingebunden werden. Eine Genomsequenz für sich allein genommen sagt allerdings nicht viel aus. Erst durch die Verknüpfung mit der Krankengeschichte – das sind Diagnosen, Erkrankungen, angewandte Therapien etc. - kann die genetische Analyse Aufschlüsse geben. Die Initiative genomDE bewegt sich damit in zwei Welten. Zum einen geht es um die Einbettung in den Versorgungsprozess und zum anderen um die Erforschung des Gesamtgenoms. Wir sind froh, dass wir im Konsortium die maßgeblichen Akteurinnen und Akteure sowohl auf der Forschungs- als auch auf der Versorgungsseite dabeihaben. So gelingt es uns hoffentlich, ein Dach und eine gemeinsame Infrastruktur zu bilden. Eine sichere und systematische Organisation der genomischen Daten ist dabei ein wichtiger Baustein. Wir müssen weg vom Nebeneinander hin zum Miteinander.

Genomdaten sind sehr sensible Daten. Welche Pläne hat die Initiative, diese Daten möglichst gut zu schützen?

Voraussetzung für unsere Arbeit ist, dass der Zugriff nur datenschutzkonform und abgesichert erfolgen kann. Dafür stehen wir im Austausch mit den Datenschutzbehörden aller Bundesländer und des Bundes. Unser Ziel ist es, die Daten kodiert zu speichern, so dass ein Rückschluss auf die Person erstmal nicht möglich ist. Man spricht hier von Pseudonymisierung der Daten. Damit Erkenntnisse aus den Genom-Analysen allerdings auch den Patientinnen und Patienten zu Gute kommen können, muss mit einer weiteren Sicherheitsstufe ein Rückschluss auf die Person möglich bleiben. In der Praxis sieht es so aus, dass es einen Nutzdatenbestand für die Forschung geben wird und nur eine unabhängige Treuhandstelle in hoheitlicher Verwaltung eine Zurückverfolgung zu den Betroffenen einsehen kann.

Die Genommedizin steht und fällt mit der Akzeptanz der Patientinnen und Patienten. Wie wollen Sie diese einbinden und mitnehmen?

Zunächst einmal ist es wichtig zu wissen, dass es ein einwilligungsbasierter Vorgang ist, das heißt die Patientinnen und Patienten erhalten eine umfassende Aufklärung und können dann entscheiden, ob sie der Analyse ihres Gesamtgenoms zustimmen oder nicht. Wir sind sehr froh, dass die Selbsthilfegruppen der Seltenen Erkrankungen und der Onkologie Teil der Initiative genomDE sind und die Sicht der Betroffenen somit aktiv einbringen. Darüber hinaus planen wir, der Öffentlichkeit ausführliche Informationen bereitzustellen. Wir möchten die Chancen, die die Genomanalyse bietet, in der Bevölkerung bekannter machen und erläutern, wie diese sensiblen Daten geschützt werden können.

Was erhoffen Sie sich von der Initiative genomDE?

Die Initiative genomDE soll zur Verbesserung der Diagnose, Behandlung und Prävention von Erkrankungen beitragen. Und langfristig soll der verbesserte Zugang möglichst vieler Patientinnen und Patienten zu den klinischen Anwendungsmöglichkeiten einer Genomsequenzierung möglich sein. Dies setzt auch eine sinnvolle Einbettung von genomDE in die gesamte digitalisierte Gesundheitsdateninfrastruktur von morgen voraus. Wenn wir es schaffen, dass die Gesamtgenom-Sequenzierungen verknüpft mit den klinischen Daten qualitätsgesichert und geschützt in ganz Deutschland abrufbar sind, dann haben wir sehr viel erreicht. Das ist eine große Herausforderung.

Stand: 14. Juli 2022
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