Interview zum ZDG-Modellvorhaben „Bot-gestützte Genesungsberatung im Virtuellen Stationszimmer - CHRIS"

Maren Lienicke ist Gründerin von reconva und hat die Genesungsberatung in virtuellen Räumen als Expertensystem konzipiert und stellt hier gemeinsam mit Julia Röglin, Medizininformatikerin, angestellt in der Thiem-Research GmbH und Projektleiterin in diesem Projekt, das Modellvorhaben CHRIS vor.

Bitte stellen Sie Ihr gemeinsames Modellvorhaben kurz vor.

In der Genesungsphase nach einer medizinischen Behandlung ist pflegerisches Fachwissen essenziell, um den Heilungsprozess nicht zu gefährden und Komplikationen, Sekundärerkrankungen sowie Rückfälle zu vermeiden. Von Anforderungen der selbständigen Verbands- und Wundversorgung bis hin zu allgemeinen Fragen der Versorgung (z.B. Lagerung, Ernährung, Bewegung, Medikamenteneinnahme), sieht sich die bzw. der Behandelte mit einer herausfordernden Situation konfrontiert. Digitale Prozesse können hier Patientinnen und Patienten und Gesundheitspersonal unterstützen, in dem fachkundige Beratungen durch geschultes Gesundheitspersonal ortsunabhängig und zeitversetzt ermöglicht werden. Dies kann sowohl Patientinnen und Patienten Anfahrtswege zum stationären Leistungerbringer ersparen, als auch die Organisation der nachstationären Behandlung im Klinikalltag erleichtern.

Wie dies im praktischen Versorgungsalltag gelingen kann, soll in diesem Vorhaben untersucht werden. Dazu soll das Konzept einer digitalen „virtuellen Pflegevisite“ im Sinne einer nachstationären Genesungsberatung implementiert und evaluiert werden. Das Virtuelle Stationszimmer bietet einen geschützten Raum und sichert die Vermittlung des notwendigen Verständnisses zur Selbstversorgung des Patienten unter Einbeziehung individueller und umgebungsbedingter Determinanten und fördert in der Genesungsberatung Wissen, Motivation und Kompetenz des Patienten oder auch Sorge tragender Angehöriger. Die qualifizierte Beratung und Begleitung durch Gesundheits- und Krankenpflegende unter Beachtung der Lebenswelten ermöglicht es dem Patienten, seine individuelle Gesundheit nach der Behandlung wieder zu erlangen und fördert unmittelbar seine Gesundheitskompetenz. Ein subjektiv positiv erlebtes Versorgungsempfinden resultiert in einer positiven Bewertung der Behandlungsqualität.

Erweitert werden die Virtuellen Stationszimmer durch den virtuellen Assistenten CHRIS. Die dem Projekt namensgebende Bot-Entwicklung soll als pflegerisches Expertensystem aufgebaut werden, so dass Genesungsberater und -beraterinnen während der Interaktion mit dem Patienten oder der Patientin Antwortvorschläge erhalten, die er oder sie übernehmen, bearbeiten oder ablehnen kann.

Exzellente Medizin wird nur durch hervorragende pflegerische Sorge realisierbar.

Maren Lienicke (reconva)

Im redaktionellen System werden diese Interaktionen bearbeitet und damit die zukünftigen Antworten des Bots spezifiziert. Dies führt dazu, dass die Berater und Beraterinnen vom Wissen sämtlicher Genesungsberater und Genesungsberaterinnen profitieren und Wissen gesammelt, aufbereitet und wieder verbreitet wird. Entsprechend erfahren auch die Fragen und Äußerungen der Patienten eine umfassendere Beantwortung.

Was ist Ihre Motivation bei der Auseinandersetzung mit digitalen Lösungen im Gesundheitswesen?

Initiale Motivation für die Entwicklung der Virtuellen Stationszimmer war die persönliche Erfahrung, wie schwierig es nach stationärer oder ambulanter Behandlung sein kann, pflegerisches Wissen für die weitere Selbstversorgung zu finden. Die Suche nach Informationen führt Patientinnen und Patienten oft wie selbstverständlich ins Internet, in dem jedoch hauptsächlich medizinische Erläuterungen zu finden sind. Diese haben eine pathogene Ausrichtung und sind nur sehr bedingt hilfreich, wenn man verstehen möchte, wie der Heilungs- und Genesungsprozess selbständig unterstützt werden kann.  

Genesung ist ein aktiver Prozess, der gerade Kenntnisse in medizinisch fundierter Behandlungspflege bedarf. Die Phase der Heilung ist für den allgemeinen Gesundheitszustand des Patienten bzw. der Patientin besonders bedeutsam. Nach einer erfolgreich vorgenommenen Behandlung wird die Erlangung einer nachhaltigen Gesundheit durch Versorgungsversäumnisse oder -fehler erheblich konterkariert. Das Risiko für Rückfälle, Komplikationen oder auch Sekundärerkrankungen kann sich deutlich erhöhen. Hier können digitale Ansätze wie das Virtuelle Stationszimmer bestehende Beratungsangebote sinnvoll ergänzen und die Beratung von Patientinnen und Patienten durch fachkundiges Gesundheitspersonal für alle Beteiligten erleichtern.  

Eine der aus unserer Sicht tragenden Säulen einer guten Gesundheitsversorgung ist die Generierung und das Teilen von Wissen. Sei es innerhalb einer Berufsgruppe, sei es zwischen diversen Gesundheitsversorgern, ganz besonders jedoch zwischen Versorgern und Patientinnen und Patienten - digitale Angebote können gerade hier einen großen Vorteil bieten, weil Wissen umfassend zugänglich gemacht werden kann. Bei reconva sehen wir Digitalisierung nicht als die Lösung von Versorgungsproblemen, sondern eher als Vehikel, um Lösungen verfügbar zu machen. Frei nach dem Motto „Don’t move the patient, move the information“ erachten wir die Erarbeitung von klugen digitalen Angeboten als eine Möglichkeit, Wege einzusparen oder notwendige Wege effizienter zu gestalten und Patienten trotzdem zu erreichen.

Ein weiterer Motivator ist das Verhältnis zwischen Gesundheitskompetenz und digitaler Kompetenz. Die enormen Möglichkeiten, die digitale Anwendungen und Datenerhebungen für die Weiterentwicklung des Gesundheitssektors bieten, gilt es aus unserer Sicht mit digitaler Kompetenz und digitaler Souveränität des Patienten und erkrankten Menschen umsichtig weiterzuentwickeln.

Abschließend ist die Bedeutung von professioneller Pflege ein starker Antrieb. Pflege ist in der Gesundheitsversorgung der Seismograph für Versorgungsbedarfe und -bedürfnisse und gerade im vertraulichen Austausch mit Patientinnen und Patienten erlangen beruflich Pflegende für die weitere Versorgungsplanung wichtige Informationen, die derzeit oft genug keinen Eingang in die Behandlung finden. Die hohe Expertise vieler Pflegefachkräfte, sowohl fachlich als auch kommunikativ, kann sich aus Sicht der Projektpartner gerade in virtuellen Räumen entfalten. Aus unserer Sicht bieten digitale Arbeitsumgebungen die Möglichkeit, die Herausforderungen, die mit dem Pflegeberuf einhergehen, gestaltend miteinander zu versöhnen und neue Tätigkeitsbereiche für Pflegekundige zu schaffen, die mit allen Lebensphasen vereinbar sind.

Für die Thiem-Research GmbH, 100%ige Forschungstochtergesellschaft der Carl-Thiem-Klinikum gGmbH in Cottbus, ist gerade die Fachkräftesicherung ein wichtiger Aspekt, um sich in dem Projekt zu engagieren. Den Beruf der Pflegefachkraft zukunftssicher zu machen bedeutet, ihn jetzt entsprechend zu gestalten. Dazu gehört auch die Überlegung, sowohl bereits im Beruf befindliche als auch nachkommende Fachkräfte digital fit zu machen. Auf Station gibt es bereits viele digitale Herausforderungen für Pflegefachkräfte. Das Interesse, sich an digitalen Entwicklungen zu beteiligen und mitzugestalten, ist erkennbar vorhanden und wird in diesem Projekt aktiv aufgegriffen. Zielsetzung ist die Erweiterung des Berufsbildes mit Schwerpunkt auf digitalen Kompetenzen.

Welche Erkenntnisse erhoffen Sie sich aus Ihrem Modellvorhaben?

Primär möchten wir untersuchen, wie hoch die Akzeptanz bei Patientinnen und Patienten und Pflegefachkräften für die Einbindung einer digitalen Versorgungsplattform ist und worauf sich diese Akzeptanz begründet. Daraus ließe sich schließen, welche Anpassungen das Konzept der Virtuellen Stationszimmer erfahren müsste, um in die regelhafte Anwendung zu kommen.

Die Bereitschaft zur Daten-Spende des abgeschlossenen Chats vor dem Hintergrund, die Entwicklung des Wissensbots damit zu unterstützen, ist ein weiteres Untersuchungsmerkmal. Wir hoffen auf Bestätigung bisheriger externer Umfragen, die eine hohe Bereitschaft zur Datenspende ausweisen, so denn die Spender wissen, für welchen Zweck und auf welche Art und Weise die Spende verwendet wird. Die Vorstellung, mit ihren Daten Forschung und Entwicklung des Gesundheitssystems zu unterstützen, generiert offenbar eine hohe Bereitschaft zur Datenspende unter gesicherten und anonymen Bedingungen.

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