Interview zum ZDG-Modellvorhaben „TATheN“ - Teleneurologi-sche Angebote für Therapeutinnen und Therapeuten in Nordost-deutschland

Kirsten Stangenberg-Gliss, Britta Seidel und Mareen von Essen berichten über das Modell-vorhaben „TATheN“.

Was war das Ziel Ihres Modellvorhabens, wie sind Sie dabei grob vorgegangen?

Ich habe mit meinen Kolleginnen und Kollegen in einem telemedizinischen Projekt gearbeitet, dessen Schwerpunkt auf der ärztlichen telemedizinischen Notfallversorgung bei akuten Schlaganfallpatientinnen und -patienten lag. Wir Therapeutinnen und Therapeuten haben damals die Telemedizin nicht genutzt, sondern sind in verschiedene Kliniken in Nordostdeutschland gefahren und haben die Kolleginnen und Kollegen vor Ort in der Befundung und Behandlung von Schlaganfallpatientinnen und -patienten geschult. Oft gab es aber Fragen zu Patientinnen und Patienten, die bereits entlassen waren, wenn wir in den Partnerkliniken waren. Um diese Lücke zu schließen, kam uns die Idee, Telemedizin auch im akutstationären Bereich mit und für Therapeutinnen und Therapeuten zu nutzen.

Unser übergeordnetes Ziel ist die Etablierung von therapeutischen teleneurologischen Angeboten in der akutstationären Schlaganfallversorgung. Wir wollen im Rahmen dieser Machbarkeitsstudie die Durchführbarkeit standardisierter therapeutischer Befunde bei akuten Schlaganfallpatientinnen und -patienten im telemedizinischen Setting prüfen. Wir verwenden pro Fachbereich je drei standardisierte, schlaganfallspezifische Befunde aus der Physio- und Ergotherapie und aus der Logopädie.

Die Therapeutinnen und Therapeuten in den fünf Partnerkliniken haben wir mit Laptops und Materialien für die Durchführung dieser standardisierten therapeutischen Befunde ausgestattet. Mit den mobilen Rechnern können die Kolleginnen und Kollegen über eine sichere Videokonferenzverbindung (ClickDoc) Kontakt zu uns im Unfallkrankenhaus Berlin aufnehmen und Patientinnen und Patienten vorstellen. Darüber hinaus erfassen wir die Akzeptanz und Zufriedenheit unseres telemedizinischen Angebotes sowohl bei den Betroffenen als auch bei den therapeutischen Kolleginnen und Kollegen mittels teilstandardisiertem Fragebogen und semistrukturierten Interviews.

Als dritten Forschungsschwerpunkt bieten wir für alle Partnerkliniken ein Hybrid-Modell, bestehend aus Telekonsultation und „in-person treatment“, für eine fallbezogene Zweitmeinung an. Dabei können aus allen drei Therapiebereichen Patienteninnen und Patienten mit gezielten Fragestellungen über Clickdoc im Unfallkrankenhaus Berlin vorgestellt werden. Uns interessiert dabei, wie oft dieses Angebot genutzt wird.

Bei unseren Besuchen vor Ort bieten wir zusätzlich Fortbildungen für die Kolleginnen und Kollegen in den Therapieberufen Logopädie, Physiotherapie und Ergotherapie mit fachlichen Themen zur therapeutischen Versorgung an. Mit unserem Projekt möchten wir begünstigende sowie behindernde Faktoren dieser digitalen Innovation identifizieren und darüber hinaus die technische, strukturelle und zeitliche Machbarkeit erforschen.

Welche Vorteile bietet der Versorgungsansatz Ihres Modellvorhabens für die Beteiligten?

Wir sehen in Deutschland einerseits durch die demografische Alterung eine zunehmende Zahl von Schlaganfallpatientinnen und Schlaganfallpatienten. Ungefähr 85 Prozent aller Schlaganfälle treten jenseits des 60. Lebensjahres auf. Andererseits haben wir einen zunehmenden therapeutischen Fachkräftemangel, gerade in ländlichen Kliniken und eben auch in Nordostdeutschland. Hinzu kommt häufig eine fehlende oder eingeschränkte therapeutische Expertise.

Mit dem Ziel, eine therapeutische Gesundheitsversorgung auch in Zukunft flächendeckend und sicher anbieten zu können, wollen wir durch die Weiterentwicklung bestehender Konzepte und eine Weiter- und Neuentwicklung digitaler Versorgungsstrukturen innovative Wege in den Therapien gehen.

Seit 2002 tragen telemedizinische Schlaganfallnetzwerke dazu bei, evidenzbasierte Schlaganfalltherapien möglichst allen Betroffenen unabhängig von ihrem Wohnort zugänglich zu machen. Dies hat einen positiven Effekt auf Qualitätsindikatoren in der Schlaganfallbehandlung sowie auf Sterblichkeit und Behinderung. Im Hinblick auf zukünftige Veränderungen im Gesundheitswesen – wie der bereits angesprochene Fachkräftemangel, der demografische Wandel, aber auch die Zunahme an multimorbiden Patientinnen und Patienten oder die Ausdünnung an ärztlichen und therapeutischen Praxen in den ländlichen Regionen – ist davon auszugehen, dass die Bedeutung von Diagnostik und Therapie in der Telemedizin zunehmen wird. Telemedizin bietet die Möglichkeit, schnell, kostengünstig und effektiv Expertisen für Diagnostik und Therapie aus Kompetenzzentren bzw. hochspezialisierten Einrichtungen für strukturschwache und ländliche Regionen zu nutzen.

Und nicht zuletzt können die therapeutischen Kolleginnen und Kollegen über diese gemeinsamen Telekonsile ihre therapeutische Expertise ausbauen.

Welche Erkenntnisse erhoffen Sie sich aus Ihrem Modellvorhaben, wie können sie zur Verbesserung der Versorgung beitragen?

Wir erhoffen uns den Nachweis, dass standardisierte Befunde in den Therapieberufen auch mit telemedizinischer Unterstützung sicher erbracht werden können. Und wir hoffen, dass sowohl Patientinnen und Patienten als auch Therapeutinnen und Therapeuten dieses Verfahren akzeptieren und annehmen werden. Damit könnte solch ein Angebot zur Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen therapeutischen Versorgung von akuten Schlaganfallpatientinnen und -patienten beitragen.

Neben der technischen Machbarkeit interessiert uns auch der Organisations- und Zeitaufwand für die telemedizinisch durchgeführten Befunde im Vergleich zum Standardvorgehen im direkten Kontakt. Oder anders gesagt: Durch unser Projekt erhoffen wir uns einerseits eine Analyse des Nutzerverhaltens als auch eine Bewertung der Effekte digitaler Innovationen auf die Strukturen, Prozesse sowie die Qualität in der therapeutischen Versorgung von akuten Schlaganfallpatientinnen und -patienten.

In der Zukunft wären mit einer solchen Versorgung trotz Ausfallzeiten der Kolleginnen und Kollegen in den Partnerkliniken durch Urlaub oder Krankheit denk- und darstellbar und sowie eine zusätzliche Versorgung auch an den Wochenenden möglich.

Digitalisierung bietet die Chance der Verknüpfung aller an der Behandlung von neurologischen Patientinnen und Patienten Beteiligten. Dazu gehören zum Beispiel Angehörige, ärztliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Pflegekräfte sowie Therapeutinnen und Therapeuten, die von weiteren Berufsgruppen wie zum Beispiel aus dem Sozialdienst oder der Seelsorge ergänzt und unterstützt werden. Durch die schwierige ambulante Versorgung im Anschluss an stationäre Aufenthalte ist auch eine sektorenübergreifende Anbindung der Patientinnen und Patienten denkbar. Dabei geht es vor allem um den poststationären Bereich unter Beibehaltung der betreuenden Therapeutinnen und Therapeuten, der Übergang vom Akutkrankenhaus zur nachbehandelnden Rehabilitationseinrichtung sowie die Anbindung an eine Selbsthilfegruppe. Eine Ausweitung dieses Modells auf andere Regionen und/oder Krankheitsbilder ist ebenfalls möglich. Deshalb wünschen wir uns aufbauende Projekte, die die Implementierung weiterer therapeutischer Hybrid-Modelle zur Verknüpfung von individuellen, virtuellen Behandlungen und „in-person treatment“ evaluieren.

Stand: 15. August 2022
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