Antworten auf die Fragen der Apotheken Umschau

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn über den Pflegeberuf, der Schaffung von neuen Stellen in Kliniken und Pflegeeinrichtungen und die Situation der Apotheker in Deutschland

Apotheken Umschau: Herr Spahn, mit der "konzertierten Aktion" für die Pflege haben Sie, gemeinsam mit dem Familien- und dem Arbeitsministerium, Ihr erstes Großprojekt als Bundesgesundheitsminister auf den Weg gebracht. Ein erstaunlicher Auftakt.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn: Warum erstaunlich? Die Konzertierte Aktion ist Teil einer Gesamtstrategie. In meinen ersten Tagen im Amt haben wir mit einem Sofortprogramm Pflege Zehntausende Pflegestellen neu finanziert und die Pflegeausbildung reformiert. Jetzt gilt es, für diese Stellen auch Pflegekräfte zu finden.

Ziel sind 50000 neue Stellen mit Tariflohn und Flächentarifvertrag, bessere Ausbildung und das Anwerben ausländischer Arbeitskräfte. Da wird sich mancher Ihrer konservativen Parteifeunde die Augen reiben.

Nein, im Gegenteil! Wir haben dasselbe Ziel: Wir wollen den Alltag der Menschen besser machen. Ich will die Vertrauenskrise in der Pflege überwinden. Dazu müssen wir mehr Pflegekräfte anstellen. Dann sinkt die Arbeitsbelastung. Dann steigt die Attraktivität des Berufs. Und davon profitieren am Ende Pflegekräfte und Pflegebedürftige. Deshalb nehmen wir viel Geld in die Hand und finanzieren jede neue Pflegekraft in den Krankenhäusern und 13 000 neue Pflegestellen in der Altenpflege. ´Kein Geld da für Pflege´ ist keine Ausrede mehr für die Kliniken.

Viele sagen, das reicht nicht aus…

…und die anderen sagen: Dafür gibt es nicht genug Pflegekräfte. Ich sage:  Lasst uns endlich anfangen und etwas verändern, anstatt immer alles schlechtzureden. Wir verbessern die Pflegeausbildung, schaffen das Schulgeld ab und führen eine Ausbildungsvergütung ein. Und drei Ministerien tun sich zusammen, weil Stellen, die finanziert sind, ja auch besetzt werden müssen.

35000 Stellen sind doch jetzt schon unbesetzt…

Aber genau deshalb gibt es doch ja die Konzertierte Aktion Pflege. Wir fragen uns: Wie können wir Pflegekräfte motivieren, statt Teilzeit wieder Vollzeit zu arbeiten? Wie können wir ausgebildete Pflegekräfte, die die Pflege verlassen haben, zurückgewinnen. Und wir fragen uns, wie wir noch mehr Menschen für diesen Beruf begeistern können? Dazu gehört auch eine bessere Bezahlung. Ein Baustein dabei ist auch die geregelte Zuwanderung von ausländischen Fachkräften in den Pflegearbeitsmarkt. Dafür gibt es eine sehr große Akzeptanz in der Bevölkerung, und auch in meiner Partei.

Das kostet. Sie haben schon angekündigt, den Beitrag für die Pflegeversicherung ab 2019 um 0,3 Prozentpunkte zu erhöhen…

Erhöhen zu müssen!

... aber bei all den gesundheitspolitischen Vorhaben, die noch im Koalitionsvertrag stehen, reicht das doch niemals aus.

Die Leistungs-Verbesserungen in der Pflege aus den letzten vier Jahren werden viel stärker abgerufen als gedacht. Mehr Familien profitieren von mehr Unterstützung im Alltag, zum Beispiel bei Demenz. Das ist eine gute Nachricht. Aber dadurch ist Pflege teurer geworden. Und diese Entwicklung wird sich fortsetzen: Wir werden schauen müssen, wie wir Pflege in den nächsten zehn oder 20 Jahren finanzieren. Jedes Jahr kommen allein 40000 Demenzkranke dazu.

Und obendrein möchten Sie die Beiträge zur gesetzlichen Krankenkasse senken?

Insgesamt haben wir in den sozialen Sicherungssystemen heute eine gute Finanzlage. Vor 10, 15 Jahren sah das ganz anders aus. Da wurde das Sterbegeld aus dem Leistungskatalog genommen, die Brillen rausgenommen, die Arzneimittelzuzahlung eingeführt, vorübergehend die Praxisgebühr erhoben. Jetzt läuft die Wirtschaft gut, wir haben Überschüsse in der Krankenversicherung. Ich finde, dass die Versicherten nicht mehr zahlen müssen, als für die Versorgung nötig ist. Kassen müssen keine Milliardenrücklagen horten.

Gesundheit wird in Deutschland zum Privileg von besser Verdienenden und besser Gebildeten. Da tut sich eine soziale Schere auf.

Dieses Gesundheitsystem verspricht jedem, unabhängig von Einkommen oder sozialer Lage, 365 Tage im Jahr bei Bedarf Zugang zu Höchstleistungsmedizin. Ich habe erst letztens von einem Fall gehört, da musste ein Kind noch vor der Geburt wegen eines Herzfehlers operiert werden. Allein das kostete 180.000 Euro. Aber wir machen das. Das ist unser großes Versprechen für alle. Nicht das Geld zählt, sondern der Mensch. Übrigens: Das Kind wurde gesund geboren.

Aber sozial Schwächere leiden häufiger unter Adipositas, Diabetes oder Herzkrankheiten.

Ja, bei den Volkskrankheiten ist die Verbreitung je nach sozialer Lage unterschiedlich. Aber das liegt nicht daran, dass jemand mit geringerem Einkommen schlechter im Krankenhaus behandelt würde. Es geht eher um Bewegung und Ernährung. Gesundheitsbewusstes Verhalten ist vor allem eine Frage von Bildung und Information. Es geht darum, wie wir sozial Schwächere im Alltag, in der Schule, in den Betrieben mit unseren Präventionsangeboten erreichen. Da müssen wir definitiv besser werden.

Haben Sie schon Ideen? Beim Rauchen hat es ja ganz gut funktioniert, aber sonst?

 Wir müssen unsere Kräfte stärker bündeln. Im Moment gibt jede Krankenkasse sieben Euro pro Versichertem für Gesundheitsförderung aus. Aber jede Krankenkasse macht damit ihr eigenes Ding. Ich glaube, das geht besser. Besonders in Schulen und Kindergärten, wenn es darum geht, jungen Menschen gesunde Ernährung und Bewegung beizubringen. Die Kassen sollten hier zusammenarbeiten.

Gut eine Milliarde Euro fließen täglich ins deutsche Gesundheitssystem, davon aber nur 3,3 Prozent in Prävention. Welchen Stellenwert geben Sie der Vorbeugung? 

Nicht alle Krankheiten können wir vermeiden. Aber wir können mit unserem Verhalten dazu beitragen, dass wir gesünder leben. Insofern genießt Prävention natürlich auch aus der Sicht eines Bundesgesundheitsministers höchsten Stellenwert. Aber mir ist auch klar: So ein Verhalten lässt sich nicht verordnen. Wir können nur Anreize setzen.  Übrigens umfassen die von Ihnen genannten 3,3 Prozent nur die Vorbeugung für Gesunde. Was wir für Menschen tun, die nicht noch kränker werden sollen als sie schon sind, ist dort gar nicht enthalten. Auch das ist Prävention.

Wie stehen Sie zu höheren Steuern zum Beispiel auf zuckerhaltige Nahrungsmitteln, um die Menschen zu einer gesünderen Ernährung zu bewegen?

Steuern sind hier nicht der richtige Weg. Sie würden die Falschen treffen. Deshalb setze ich zusammen mit der Ernährungsministerin eher auf freiwillige Vereinbarungen mit der Industrie. Die Unternehmen müssen begreifen, dass es langfristig auch in ihrem Interesse ist, den Zucker in ihren Produkten zu reduzieren. Ungesundes Essen hat einen immer schlechten Ruf. Das schlägt sich auf den Umsatz nieder.

Gesundheit ist oft auch eine Frage des Wohnorts. In vielen ländlichen Regionen finden Hausärzte keine Nachfolger mehr. Haben Sie dafür eine Lösung?

Mein Heimatdorf im Münsterland hat 3700 Einwohner. Als mein Hausarzt aus der Kindheit  dort in Rente ging, gab´s keinen keinen Nachfolger. Das macht für so einen Dorf schon was aus. Was also tun? Finanzielle Anreize für Landärzte haben wir schon stark ausgebaut. Ich glaube aber, dass am Ende die Arbeitsbedingungen den Ausschlag geben. Wie oft habe ich Notdienst? Kann ich mit anderen niedergelassenen Ärzten zusammenarbeiten? Hier haben wir Ansatzpunkte.

Eine Kernfrage aber ist: Wer will eigentlich Mediziner werden? Es gibt deutlich mehr Bewerber fürs Medizinstudium als Studienplätze. Ich finde, wir sollten da noch besser diejenigen rausfischen, die gut sind, die sich aber auch um Menschen kümmern wollen.

Wollen Sie einen sozialen Eingangstest für Mediziner einführen?

So etwas gibt es schon. Ich habe mir kürzlich  das Assessment-Verfahren am Uni-Klinikum Münster genau angeschaut. Die laden 2, 3 Tage lang Bewerber fürs Medizinstudium ein, um zu erfahren, wie sie mit Menschen umgehen, wie fürsorglich sie sind. Zum Arzt werden reicht nicht nur ein gutes Abitur. Beim teuersten Studium, das wir aus Steuermitteln bezahlen, dürfen wir da schon genauer auswählen.

Während in manchen Regionen Ärzte und Apotheken knapp werden, gibt es bei den Kliniken Überkapazitäten. Mit etwa acht Klinikbetten pro 1000 Einwohnern liegen wir europaweit an der Spitze. Wie wollen Sie hier mehr Effizienz schaffen?

Zu viele Krankenhäuser gibt es eher in Ballungszentren, weniger im ländlichen Raum. Richtig ist aber: Zu oft arbeiten die Kliniken in einer Region nicht gut genug zusammen. Nicht jede muss alles anbieten. Zwei spezialisierte Krankenhäuser mit großen herzchirurgischen Abteilungen sind besser für die Patienten als zehn ohne Spezialisierung. Wenn wir Krankenhausangebote auf ausgesuchte Häuser konzentrieren, gefährden wir nicht etwa die Versorgung – wir verbessern sie.

Eine tragende Säule der Versorgung sind die inhabergeführten Apotheken. Kürzlich hat der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen in einem Frontalangriff auf das bestehende System unter anderem gefordert, das Fremd- und Mehrbesitzverbot aufzuheben - also Apothekenketten auch in Deutschland zu erlauben. Wie stehen Sie dazu?

Das ist absolut kein Thema! Die Apotheke vor Ort bleibt wichtiger Bestandteil unserer Versorgung. Und das verträgt sich nicht mit Investoren, die nur nach der Rendite schauen. Genauso wie der Hausarzt ist der Apotheker vor Ort Teil von Heimat. Darauf können wir nicht verzichten.

Es gibt ja schon erfolgreiche Modellprojekte, wo sich Ärzte und Apotheker gemeinsam um eine optimale Anwendung von Arzneimittelanwendung bemühen.

Nicht nur Modellprojekte: Patienten haben das Recht auf einen Medikationsplan, wenn sie mehr als drei vom Arzt verordnete Medikamente einnehmen müssen. Noch gibt es diese Medikationspläne leider nur auf Papier. Die müssen bald digital werden. So machen wir Versorgung besser.

Ausländische Online-Apotheken versuchen derzeit, auch rezeptpflichtige Medikamente zu Dumpingpreisen auf den deutschen Markt zu bringen, was deutschen Apotheken nicht erlaubt ist. Unterstützen Sie – so wie Ihr Amtsvorgänger Gröhe – die Forderung, den Versandhandel mit solchen Produkten zu verbieten?

Es um gleiche, um faire Wettbewerbsbedingungen. Es kann doch nicht sein, dass Apotheken, die aus dem EU-Ausland rezeptpflichtige Medikamente nach Deutschland versenden, Rabatte geben können und nicht an die deutsche Arzneimittelpreisverordnung gebunden sind. Ich halte deshalb das Urteil des Europäischen Gerichtshofs von 2016, das diesen Versandhandel möglich macht, im Ansatz für falsch. Aber wir müssen jetzt damit umgehen. Ich möchte alles versuchen, um einen fairen Wettbewerb herzustellen. Wenn das nicht gelingt, nehmen wir ein generelles Versandhandelsverbot für rezeptpflichtige Medikamente in den Blick.

Der Online-Händler Amazon machte kürzlich mit dem Kauf der US-Apotheke PillPack Schlagzeilen, die rezeptpflichtige Medikamente online verkauft, sie verblistert und auch gleich das Medikationsmanagement übernimmt. Können wir diese Entwicklung in Deutschland tatsächlich aufhalten?

Wir haben klare Gesetze: Bei uns kann nur ein studierter Pharmazeut mit Kammerzulassung Eigentümer einer Apotheke sein. Insofern kann Amazon in den USA PillPack aufkaufen. Für Deutschland hat das keine Relevanz.

Digitalisierung in der Medizin ist eines Ihrer zentralen Themen. Deshalb wird es Sie freuen, dass nun in Sachsen erstmals Online-Sprechstunden möglich sind. Mit der "Telepharmazie" können sich viele Apotheker aber noch nicht anfreunden. Geht ihnen das auch zu langsam?

Ja. Genauso wie den Ärzten sage ich auch den Apothekern: Die Digitalisierung können wir nicht aufhalten. Entweder wir gestalten den digitalen Wandel, oder wir erleiden ihn. Bürger, Versicherte, Patienten wollen zurecht digitale Angebote, weil sie das Leben leichter machen – auch in Gesundheitsfragen. Wir können diese Angebote im Rahmen unserer Strukturen entwickeln, mit unserer Idee von Datensicherheit und von Qualität. Sonst kommen sie eben aus China, aus den USA oder Israel. Ich möchte, dass das aus Deutschland kommt und unsere Ärzte und Apotheker das aktiv  mitgestalten.

In einem Buch über digitale Medizin haben Sie 2016 geschrieben, "Datenschutz ist nur was für Gesunde". Stehen Sie noch dazu?

Wenn Datenschutz übertrieben wird, verbauen wir uns Chancen. Etwa in der Wissenschaft. Wenn zigtausende Patienten mit Diabetes oder Bluthochdruck ihre Daten für die Forschung zur Verfügung zu stellen, können wir viel lernen. Wenn wir es endlich möglich machen, dass Versicherte ihre Patientenakte auf ihrem Smartphone haben und Ärzte die Daten in den Praxen, wird Versorgung im Alltag spürbar besser. Wir sollten pragmatischer im Umgang mit Gesundheitsdaten werden. Wichtig ist mir: Der Patient muss Herr über seine Daten sein. Wenn er Daten weitergibt, dann freiwillig.

Die elektronische Gesundheitskarte steht bei uns seit 15 Jahren auf der Agenda. Im Juli 2018 sollte die IT-Infrastruktur dafür definitiv stehen. Tatsache ist: Sogar der Medikationsplan wird heute noch auf Papier gedruckt. Und in vielen Kliniken und Arztpraxen werden Befunde noch gefaxt. Wie wollen Sie dieses Mammutprojekt konkret vorantreiben?

Wichtig ist, dass wir auch kleine Fortschritte zulassen und nicht immer nur die hundertprozentig perfekte Lösung akzeptieren. Daher freue ich mich, dass beispielsweise einzelne Krankenkassen bereits elektronische Patientenakten anbieten. Diese machen den Fortschritt für Versicherte erfahrbar und bieten uns nützliche Hinweise, wie wir die Digitalisierung im Gesundheitssystem weiter vorantreiben können.

Das Interview führte Chefredakteur Dr. Hans Haltmeier

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