Spahn: „Kassenpatienten werden schneller Arzttermine bekommen“

Wie die Versorgung mit dem neuen Terminservicegesetz schneller, besser und digitaler wird, darüber sprach Bundesgesundheitsminister Jens Spahn im Interview mit Rasmus Buchsteiner und Gordon Repinski, Berliner Zeitung vom 14.03.2019.

Berliner Zeitung: „Privat und gesetzlich Versicherte müssen in Zukunft gleich schnell einen Arzttermin bekommen”, haben Sie vor einem Jahr angekündigt. Halten Sie Wort?

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn: Wir machen jedenfalls einen großen Schritt nach vorn. Auch gesetzlich Versicherte werden künftig schneller Arzttermine bekommen. Dafür sorgt unser Terminservice- und Versorgungsgesetz. Dass der Bundestag es nun auf den Tag genau ein Jahr nach dem Start der großen Koalition beschließt, ist auch ein Signal: Wir nehmen dieses Thema ernst. Benachteiligung bei Terminen ist kein gefühltes Problem, sondern ein reales.

Wie kommen die Versicherten nun schneller an Termine?

Die Terminservicestellen werden künftig sieben Tage die Woche rund um die Uhr erreichbar sein, unter 116 117. Ihre Aufgabe ist es, Termine innerhalb von höchstens vier Wochen zu vermitteln. In vielen Fällen wird es viel schneller gehen. In zwei, drei Jahren werden wir soweit sein, dass das alles auch über eine App funktioniert.

Warum sind so sicher, dass es auch mehr und schneller Termine geben wird für gesetzlich Versicherte?

Bisher haben viele Fachärzte gesagt: Wenn ich einen zusätzlichen Kassenpatienten nehme, bringt mir das finanziell nichts. Da setzen wir jetzt an.

Wie denn?

Für jeden Patienten, den sie zusätzlich behandeln oder neu annehmen, werden Ärzte künftig auch besser bezahlt. Wir schaffen den Einstieg in den Ausstieg aus den festgelegten Budgets – auch bei Versicherten, die in offenen Sprechstunden behandelt werden. Bei ganz schnellen Terminen innerhalb einer Woche, die über die Servicestellen angenommen werden, ist sogar ein zusätzlicher Bonus von 50 Prozent möglich.

Aber die Patienten werden wahrscheinlich erhebliche Fahrtzeiten zu ihrem Termin in Kauf nehmen müssen, oder?

Nein. Der Arzt muss in „zumutbarer Entfernung“ sein. In Großstädten wie Berlin sind das einige S-Bahn-Stationen. Auf dem Land sind die Wege mitunter länger. Aber die werden Patienten gerne in Kauf nehmen. Zumindest dann, wenn die Alternative ist, ansonsten mehrere Monate auf einen Besuch beim Facharzt zu warten.

Plötzlich soll es Termine geben, die bisher nicht möglich waren. Geht das nicht zu Lasten von Chronikern und anderen Patienten, die regelmäßig in den Praxen sind?

Nein, das wird nicht passieren. Termine werden künftig einfach früher vergeben, weil es sich lohnt. Bisher gab es Ärzte, die keine zusätzlichen Patienten genommen haben, weil sie die nicht vergütet bekommen haben. Genau das ändern wir.

Wie lässt sich messen, ob das Versprechen des Gesetzes - schnellere Termine – erfüllt wird?

Die Menschen haben ein sehr gutes Gespür dafür, ob der Staat in einem so lebenswichtigen Bereich wie Gesundheit funktioniert. Und weil es hier eine Schieflage gab, haben wir gehandelt. Ich bin fest davon überzeugt, dass das den Alltag der Patienten spürbar verbessert. Und ich setze darauf, dass mir das die Bürgerinnen und Bürger in den vielen Veranstaltungen, die ich besuche, ihre Erfahrungen mitteilen. Der Unmut wird schwächer werden, wenn die Unterschiede zwischen Kassen- und Privatpatienten nicht mehr so eine große Rolle spielt. Dann haben wir schon viel erreicht.

Die Kassen haben vorgerechnet, allein das Honorarplus für die Ärzte werde 1,2 Milliarden Euro jährlich kosten. Stimmt die Rechnung?

Nein. Es ist vielmehr wie immer bei Gesundheitsreformen: Die Ärzte sagen, wir täten zu wenig. Die Kassen dagegen behaupten, wir würden das Geld mit vollen Händen ausgeben. Beides ist falsch. Ich bin der erste Gesundheitsminister seit langem, der Mehrleistung von Ärzten honoriert. Und dafür haben wir circa 600 bis 800 Millionen Euro kalkuliert. Das ist gut angelegtes Geld. Wir verbessern die Versorgung der Patienten und sorgen dafür, dass das System auch in Zukunft funktioniert.

Stichwort Verbindlichkeit: Ärzte beklagen, dass Patienten oftmals nicht zu vereinbarten Terminen erscheinen. Braucht es Sanktionen, sollte sich das Problem verschärfen, wenn viel mehr als bisher über die Servicestellen läuft?

Bei Sanktionen bin ich skeptisch. Allein schon, weil das kaum umsetzbar wäre. Denn das würde jede Menge Bürokratie erfordern. Allerdings wünsche ich mir eine gesellschaftliche Debatte über die Anspruchshaltung gegenüber dem Gesundheitssystem. Das können wir gerne auch mit Blick auf die Notfallambulanzen diskutieren. Jemand, der akut krank ist, muss sofort versorgt werden – das ist klar. Aber vereinbarte Termine nicht wahrzunehmen oder vier Wochen Rückenschmerzen haben und dann mal in die Notfallambulanz gehen, weil es gerade passt – das geht nicht. Wir brauchen hier eine bessere Steuerung. Solidarität bedeutet auch, nur das in Anspruch zu nehmen, was nötig ist. Sonst blockiert man Kapazitäten, die andere dringend benötigen.

Mediziner sind empört, weil künftig mindestens 25 statt 20 Stunden in der Woche angeboten werden müssen. Was entgegnen Sie?

Dass sie zum größten Teil nicht betroffen sind. Mir sagen die allermeisten Ärzte, dass sie ohnehin länger arbeiten. Für sie wird sich also nichts ändern. Mir geht es um ein Signal an die wenigen mit einem vollen Arztsitz im GKV-System, die nicht die vollen Stunden machen. Das ist auch ein Schutz für alle, die mehr leisten.

Mehr Geld gibt es auch für den Zahnarzt. Patienten sollen weniger zuzahlen müssen. Wie viel weniger?

Zum 1. Oktober 2020 erhöhen wir den Zuschuss für Kassenpatienten von 50 auf 60 Prozent. Wer regelmäßig zur Vorsorge geht, bekommt noch etwas mehr – bis zu 75 Prozent. Außerdem sorgen wir für mehr Kostentransparenz bei Kieferorthopädie und verschärfen hier die Informationspflichten von Zahnärzten. Oft ist den Patienten zu Beginn einer Behandlung nicht klar, was da auf sie zukommt. Das wird sich ändern.

Wenn sich die Konjunktur eintrübt und die Krankenkassen mit immer neue Rücklagen- und Einnahmerekorde feiern: Werden die Mehrausgaben des Gesetzes nicht schon bald auf den Prüfstand gestellt werden müssen?

Nein. Das Gesetz bleibt, wie es ist. Allerdings würde sich der Spardruck auf das System insgesamt erhöhen, wenn die Wirtschaft schlecht läuft. Was für Konsequenzen das haben kann, habe ich bei der ersten Gesundheitsreform erfahren, an der ich als Politiker mitgewirkt habe. Das war 2004, als Deutschland fünf Millionen Arbeitslose hatte. Die Reform bestand vor allem aus harten Einschnitten. So etwas möchte ich noch nicht einmal erleben. Deshalb kämpfe ich für Wachstumspolitik, für Innovationen und Steuerentlastung. Damit schaffen wir am Ende Spielräume, um sozialpolitisch gestalten zu können. So wie jetzt.

Stichwort Digitalisierung. Statt handfester Verbesserungen gab es bisher hauptsächlich vollmundige Ankündigungen - etwa zur elektronischen Gesundheitskarte. Was ändert sich konkret mit dem Gesetz?

Die Gesundheitskarte ist mittlerweile so etwas wie der Berliner Flughafen der Gesundheitspolitik. Wo immer man das Thema erwähnt, gibt es nur ein müdes Lächeln. Wir dürfen diesen Stillstand nicht länger zulassen. Es geht um das größte Digitalprojekt unseres Landes. Ab 2021 hat jeder Patienten Anspruch auf eine elektronische Patientenakte. Dafür müssen wir Standards setzen und Schnittstellen für die Software in Praxen und Krankenhäusern entwickeln. Das geht nur, wenn die Blockaden bei der zuständigen Gesellschaft für Gematik gelöst werden. Deshalb wird der Bund dort die Mehrheit übernehmen. Es gilt auch hier, Vertrauen zurückzugewinnen.

Wird die Patientenakte sicher auch über das Smartphone und andere mobile Endgeräte zu steuern sein?

Selbstverständlich, daran arbeiten wir mit Hochdruck. Die elektronische Patientenakte soll für jeden über Smartphone oder Tablet verfügbar sein. Und dabei höchsten Datenschutzstandards genügen. Der Patient behält die Hoheit über die Nutzung der gespeicherten Daten, über Behandlungsdaten, Blutwerte, Befunde und Röntgenbilder. Ich bin überzeugt davon: Wenn die elektronische Akte erst einmal eingeführt ist, wird das eine gewaltige Dynamik auslösen: Mit vielen ergänzenden App-Angeboten, etwa zur Beratung oder mit Präventionsangeboten.

Von der virtuellen Welt zurück in die reale: Sie versprechen schnellere Arzttermine. Wird das auf dem Land, wo es an Medizinern fehlt und die Wege weit sind, überhaupt möglich sein?

Ja. Wir erhöhen die Anreize für Ärzte, in den ländlichen Raum zu gehen – zum Beispiel über obligatorische Sicherstellungszuschläge. In unterversorgten Regionen werden die Kassenärztlichen Vereinigungen verpflichtet, selbst die medizinische Versorgung durch Eigeneinrichtungen aufzubauen. Das heißt: Wenn die Arztpraxis vor Ort dicht macht, muss die Kassenärztliche Vereinigung Alternativen anbieten. Wir werden die Patienten nicht allein lassen.

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