Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und Landarzt Thomas Assmann im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung

Ein Gespräch über das Medizinstudium, dem Landarztberuf und zu viel Schokolade

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: Herr Minister Spahn, was macht einen guten Hausarzt für Sie aus?

Spahn: Ein guter Hausarzt hat Zeit für mich. Er muss den ganzen Menschen sehen. Und wir sollten uns auch gut verstehen. Das schadet jedenfalls nicht. (lacht)

Assmann: Arzt und Patient sollten also ein Team sein?

Spahn: Im besten Fall: Ja! Und das Vertrauensverhältnis ist umso wichtiger, je häufiger ich diesen Arzt sehe und brauche. Bei einem Hausarzt  möchte ich schon, dass es passt.

Assmann: Verständlicherweise. Haben Sie einen Hausarzt in Berlin?

Spahn: Nein, einen in meiner Heimat, im Münsterland.

Herr Spahn, Sie planen, die verpflichtenden Sprechstundenzeiten von Ärzten zu erhöhen von 20 auf 25 Stunden in der Woche. Glauben Sie, dann hat der Arzt mehr Zeit für Sie?

Spahn: Patienten werden jedenfalls mehr Chancen haben, einen Arzt zu sehen. Eins der größten Aufregerthemen im Gesundheitswesen ist die Frage, warum ich als gesetzlich Versicherter zu oft so lange auf einen Arzttermin warten muss und Privatpatienten nicht. Da setzen wir mit dem neuen Terminsservice-Stellen-Gesetz an, das wir in Kürze im Kabinett verabschieden werden.  

Bei vielen Ärzten geht aber einfach nicht mehr. Herr Assmann, wie viele Sprechstunden absolvieren Sie in der Woche?

Assmann: 35 bis 38 Stunden.

Spahn: Dann wird Sie die neue Sprechstunden-Regel auch nicht treffen. Ich weiß: Wie Sie gibt es sehr viele Ärzte, die das Soll von heute 20 Stunden übererfüllen. Aber es gibt eben auch ein paar, die das nicht tun, die auch einen ganz starken Unterschied zwischen privat und gesetzlich Versicherten machen. Und das geht nicht. Aber keine Sorge. Wir wollen die Ärzte für Ihre zusätzliche Arbeit ja nicht bestrafen, sondern belohnen. Und deshalb sagen wir: Wer neue Patienten aufnimmt oder welche über die Terminservicestellen annimmt, wer seine Patienten zum Facharzt vermittelt, der wird dafür extra vergütet. Und der wird vor den Kollegen geschützt, die sich niederlassen, aber ihren Kassensitz gar nicht ganz ausfüllen. Wer sich auf das zugegeben komplexe Leben als Kassenarzt einlässt, der sollte auch eine bestimmt Zahl an Stunden bestreiten - auch aus Fairness den anderen Kollegen gegenüber.  

Assmann: Also Zuckerbrot und Peitsche? 

Spahn: Das Gesamtpaket muss stimmen: finanzielle Anreize auf der einen Seite und Pflichten auf der anderen. Mich wundert dabei ja nur, dass sich am meisten die aufregen, die gar nicht betroffen sind, nämlich die, die schon jetzt genug Patienten versorgen.

Aber haben die nicht vielleicht das Gefühl, dass der Patient da keinen Unterschied macht und eben auch von denen, die viel leisten - also den meisten Ärzten -, nach dem Gesetz noch mehr verlangen wird, weil es die Politik so beschlossen hat. Das ist ja auch ein Problem des Gesundheitswesens: Der Patient blickt bei Themen wie Abrechnung und Vergütung gar nicht durch und hat auch oft kein Bewusstsein dafür. 

Spahn: Es ist beides. Es ist manchmal ja nicht nur das Angebot, sondern auch die richtige Steuerung der Patienten. In manchen Gebieten in Deutschland haben wir eine Überversorgung und trotzdem lange Wartezeiten. Und man muss sicher auch manchmal den Patienten sagen, das geht nicht und das ist jetzt nicht so dringend, wie Sie denken. Und klar, da wo es keine Ärzten gibt, bringt auch die beste Terminservicestelle nichts. Aber auch da setzen wir an, versuchen die Niederlassung auf dem Land attraktiver zu machen. Ich bin der festen Überzeugung, zufriedene Patienten bekomme ich nur mit zufriedenen Ärzten. .Daran arbeite ich. 

Herr Assmann, zufriedene Patienten und zufriedene Ärzte - wie ist das bei Ihnen und Ihren Kollegen auf dem Land? 

Assmann: Was mich zufrieden macht ist, dass ich das Gefühl habe, gerade tut sich was. Politik und Ärzteschaft kommen ins Gespräch. Patienten zufrieden machen, das ist natürlich auch erst einmal die Absicht des Arztes. Aber man muss eben sagen, dass sich bei den meisten Ärzten nichts ändern wird durch das Gesetz. Ich mache ohnehin schon mehr Sprechstunden, und auch Akutsprechstunden für Notfälle biete ich an, ich könnte meine Patienten auf dem Land sonst überhaupt nicht versorgen. Und wie das dann mit der Extrabudgetierung klappen und umgesetzt werden soll, das werden wir dann noch sehen. Worüber ich mir aber Sorgen mache, das ist, ob bei immer zunehmenden gesetzlichen Regelungen und Vorgaben junge Mediziner noch Lust haben, sich überhaupt niederzulassen. Selbständigkeit, das ist keine leichte Entscheidung mehr, die müssen sie dann manchmal in wenigen Monaten treffen. Sie, Herr Spahn, hatten vermutlich auch nur ein paar Stunden oder Tage Zeit zu entscheiden, ob Sie Gesundheitsminister werden wollen.

Spahn: Ehrlich gesagt, wusste ich nach drei Minuten, dass ich das machen will. (lacht)

Assmann: Jungen Ärzten fällt die Entscheidung nicht mehr so leicht heute. Und das liegt daran, dass die Vorteile der Selbständigkeit als Arzt immer geringer werden gegenüber denen als Angestellter in Klinik oder Praxis, was ich gut verstehen kann. 

Spahn: Meinen Sie aus finanziellen Gründen?

Assmann: Nein, ich meine aufgrund des Gesamtpakets. Selbständige Ärzte haben keinen bezahlten Urlaub, keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, keine betriebliche Rentenversicherung und...

Spahn: ...das ärztliche Versorgungssystem haben sie aber immer.

Assmann: Gut, aber Sie werden ja nicht abstreiten, dass man als Selbständiger das größere Risiko hat als als Angestellter. Und Ihre Orientierung an den Patienteninteressen, was ja prinzipiell nicht falsch ist, plus die zusätzlichen Reglementierungen wirken als Gesamtpaket abschreckend auf junge Kollegen. Und das sollte man in Sachen Zukunftsplanung nicht aus den Augen verlieren.  

Herr Spahn, können Sie die Befürchtung nachvollziehen, dass Ihre Gesetzesvorschläge den Landarztmangel vielleicht noch verschärfen könnten?

Spahn: Im Gegenteil. Wir arbeiten ja daran, dass sich was ändert. Und das übrigens nicht erst seit heute. Durch medizinische Versorgungszentren ermöglichen wir zunehmend, dass Ärzte auch als Angestellte ambulant arbeiten zu können. Wir haben die Residenzpflicht aufgehoben, Ärzte müssen nicht mehr da wohnen, wo sie sich niederlassen. Notdienste sind zusammengelegt, damit niedergelassene Ärzte weniger häufig belastet sind. Aber mir ist auch bewusst – und da bin ich ganz bei Herrn Assmann: Am Geld liegt´s häufig nicht, sondern auch an den Vorstellungen vom Landarztdasein, den Bildern im Kopf…

In den Köpfen der jungen Ärzte?

Spahn: Ja. Wenn jungen Ärzte schon auf der Uni  das Vorurteil eingeimpft wird: „Werde bloß nicht Hausarzt, dann hast du nur Regressprobleme und dir wird alles vorgeschrieben“ – dann verstehe ich deren Vorbehalte. Wir müssen darauf achten, dass Probleme nicht größer gemacht werden als sie tatsächlich sind. Der Arzneimittel-Regress zum Beispiel ist für den Hausarzt kein Problem mehr. Und verdienen kann er mit seinem Beruf auch sehr gut. Also lassen Sie uns lieber gemeinsam schauen, dass der Beruf attraktiv bleibt, Herr Assmann. 

Assmann: Genau, es ist wichtig, dass Ärzte und Politik gemeinsam schauen, wie sie den Arztberuf wieder attraktiver machen und auch die Niederlassung. Wir müssen aus den Grabenkämpfen zwischen Ärzten, Krankenversicherung und Politik raus. Wir müssen gemeinsam gestalten. 

Spahn: Ich glaube, ein Schlüssel für motivierte junge Ärzte liegt schon bei der Frage: Wer studiert eigentlich Medizin mit welchem Ziel? Nur weil er ein sehr gutes Abi hat, heißt das ja nicht, dass ein junger Mensch am Ende ein guter Arzt wird, der sich um die Patienten und die Versorgung kümmern will. Deshalb finde ich es wichtig und richtig, dass die Unis mehr schauen, was der potentielle Student mitbringt. Ich finde auch die Landarztquote gut...

... dank der junge Menschen, die zusagen, nach dem Studium aufs Land zu gehen, bevorzugt einen Studienplatz bekommen....

Spahn: ...genau, man muss schauen, was die jungen Leute können. Menschen, die gar nicht mit Menschen können, die würde ich nicht zum Arzt machen.

Aber geht es nicht auch um Vorbilder - also Ärzte, die ihren Job gerne machen? Die Stimmung unter Ärzten in Klinik und Praxen ist aber schlecht und nicht motivierend.

Spahn: Sicher, aber vieles, worüber Ärzte sich beklagen, hat sich auch verändert. Zum Beispiel, dass ein Arzt auf dem Land zu wenig verdient. Vor zehn Jahren hätte ich das unterschrieben, aber wir haben so massiv umgesteuert, dass es heute einfach nicht mehr stimmt, gerade bei den Haus- und Landärzten. 

Ist das so, Herr Assmann?

Assmann: Ja, die Hausarztverträge haben schon etwas gebracht, auch die hausarztzentrierte Versorgung. Aber was noch entscheidender ist, auch die Wertschätzung uns Landärzten gegenüber ist wieder besser geworden. 

Ist es denn überhaupt das Finanzielle, worüber die Ärzte sich beschweren? Mein Eindruck ist das nicht. Sie sind mehr über Arbeitsbedingungen und -möglichkeiten frustriert. 

Spahn: Das Finanzielle ist schon immer wieder auch Thema.

Assmann: Aber ich glaube wirklich, die Wertschätzung ist das viel Wichtigere. Die meisten Ärzte sind mit ihrem Gehalt soweit einverstanden. 

Spahn: Und wenn nicht: Wir wollen mit unserem neuen Gesetz ja diejenigen finanziell belohnen, die etwa neue Patienten aufnehmen und sich die Arbeit machen, sich mit diesen Menschen, die vielleicht lange auf einen Termin gewartet haben oder lange nach einem neuen Hausarzt gesucht haben, zu beschäftigen. Wir werden nicht auf Anhieb alle Probleme lösen, aber wir setzen neue gute Anreize. 

Herr Spahn, tendieren Sie dazu, die Deckelung bei den Honoraren ganz aufzuheben? Heute ist es ja so: Egal, wie viele gesetzlich Versicherte ein Arzt in einem Quartal behandelt, er kann nur bis zu einer bestimmten Summe verdienen, danach kommt aufgrund der Budgetierung nichts mehr dazu. 

Spahn: Sie generell zu streichen, das geht nicht. Die Erfahrung zeigt einfach: Wenn man alle Leistungen unbegrenzt mit festen Eurobeträgen vergütet, dann wird über das Notwendige hinaus zu viel Geld ausgegeben, werden zu viele Behandlungen gemacht. So ist der Mensch einfach, das ist kein Vorwurf. Deshalb haben wir das Budget - um zu steuern: was notwendig ist, das wird bezahlt.

Ein großes Thema für Ärzte in dem Zusammenhang ist auch das Thema Regresse. Werden ihre Verordnungen und Leistungen von den Kassen nicht als zweckmäßig, notwendig oder wirtschaftlich bewertet, bleibt der Arzt auf den Kosten sitzen, etwa für verschriebene Medikamente. 

Spahn: Arzneimittelregress ist nach den letzten Gesetzänderungen faktisch kein Thema mehr. 

Herr Assmann, ist das in der Praxis so?

Assmann: Sie besteht schon noch, wir sind das einzige Land in Europa, wo die Regressgefahr beim Arzt liegt.

Spahn: Wir sind aber auch eins der wenigen Länder, in denen Ärzte alle Medikamente frei verschreiben können. 

Assmann: Aber doch nicht unter der Prämisse, dass sie dafür eventuell die wirtschaftliche Verantwortung tragen müssen. 

Spahn: Wenn man nach den heutigen Regelungen, also mit Beratung und Ausnahmeregelungen, als Arzt im Bereich der Arzneimittel noch Regress zahlen muss, dann hat das auch seinen guten Grund. Das sage ich ganz klar. 

Assmann: Und ich bleibe dabei, wir tendieren hier im deutschen Gesundheitswesen dazu, den Ärzten zu viel vorzuschreiben, sie zu kontrollieren, sie mit Bürokratie zu überladen. Das ist vielleicht ein deutsches Problem. Aber mir fehlt es da an Vertrauen und Zutrauen in die Ärzte. Das brauchen wir auch, damit es läuft, damit alles auch in der Praxis noch zu schaffen ist. Viele Ärzte empfehlen einfach jungen Kollegen aus diesen Gründen nicht mehr, sich niederzulassen.

Empfehlen Sie es noch, Herr Assmann?

Assmann: Ja, ich bin Überzeugungtäter. Ich habe noch immer Freude daran. 

Und hören die jungen Mediziner auf Sie?

Assmann: Einige Gott sei Dank schon, aber ich versuche auch das Tolle des Berufs herauszuheben, wenn die jungen Ärzte bei mir in der Praxis sind. Wir können nämlich als erfahrene Ärzte nicht immer nur unseren Laden schlecht reden und uns dann wundern, dass keiner mehr kommt. 

Spahn: Da haben Sie recht. Deshalb finde ich es ja auch so wichtig, dass Ärzte im Studium und der Weiterbildung auch mal rauskommen aus der Uniklinik, in kleinere Häuser und Praxen, damit sie einen Eindruck davon bekommen, gerade vom Hausarzt-Dasein. Damit sie Spaß daran gewinnen. 

Assmann: Man muss die Leute mitnehmen. Das können Ärzte und Politik nur zusammen.

Aber gerade junge Ärzte beschweren sich im Moment, dass die Qualität der ärztlichen Weiterbildung leidet. Auch dort herrscht Unzufriedenheit. 

Spahn: Kliniken, die klug sind, sollten in junge Ärzte investieren...

Aber Chefärzte sagen, aufgrund der hohen Arbeitsbelastung und des steigenden ökonomischen Drucks hätten sie keine Zeit mehr, sich um die Assistenzärzte zu kümmern. Lehre und Weiterbildung werden nicht honoriert. Sie, Herr Spahn, nehmen jetzt einiges an Geld in die Hand für die Patientenversorgung; sollte man nicht auch welches in die Weiterbildung der Fachärzte stecken, um unsere hohe Qualität in der ärztlichen Versorgung zu halten? 

Spahn: Muss man echt alles reglementieren und regeln?  Wenn eine Klinik und deren Chefärzte den Wert einer guten Weiterbildung nicht erkennen und da investieren, dann kann ich denen auch nicht helfen. Es gibt ein paar Dinge, die wir Politiker auch noch bewusst der Selbstverwaltung und den Kliniken überlassen müssen. Aus- und Weiterbildung ist eine ihrer Uraufgaben. Es gibt etwas ganz anderes, was mir auf dem Gebiet Sorgen macht. Junge Ärzte bekommen heute meist vom ersten Tag ihres Studiums und ihrer Weiterbildung an gesagt: Ihr seid Goldstücke, ihr werdet gebraucht, ihr habt eine Jobgarantie. Manchmal frage ich mich da schon, was es mit Menschen und einem System macht, wenn man das ständig gesagt bekommt. Es gab in Deutschland ja noch nie so viele Ärzte wie jetzt.

Assmann: Aber die Frage ist doch, arbeiten die auch alle in der Versorgung?

Spahn: Ja, stimmt. Und durch die neuen Dienstmodelle und mehr Teilzeitstellen brauchen wir mehr Köpfe, um dasselbe zu schaffen.. Aber das Medizinstudium ist das teuerste Studium, das wir haben, und die Absolventen haben zurzeit eine Jobgarantie. Da darf eine Gesellschaft doch die Frage stellen, wer studiert das mit welchem Ziel? Klar ist, das dauert, bis solche Fragen und eventuelle Konsequenzen greifen, aber wir müssen mal anfangen, die Frage zu stellen. Ich habe nichts dagegen, wenn Ärzte ins Ausland gehen oder etwas anderes machen. Aber es ist nicht unsere Aufgabe, für den Rest der Welt Ärzte auszubilden. Ich will schon die Erwartung formulieren, dass derjenige, der dieses Studium beginnt, auch Lust haben sollte, in der deutschen Patientenversorgung zu arbeiten. 

Assmann: Ja, das ist durchaus eine moralische Frage. Und es zieht das Problem nach sich, dass wir mit der Anstellung von ausländischen Ärzten, weil uns die deutschen fehlen, dem Ausland die Ärzte wegnehmen. Ich würde deshalb noch weitergehen: Wir müssen bei diesem Thema nicht nur gucken, wie es uns geht, sondern auch, wie geht es den Ländern um uns herum. 

Spahn: Das ist wie in der Pflege. Da sage ich auch, wir dürfen nicht dort werben, wo auch schon Fachkräftemangel herrscht. Das Prinzip kann im Gesundheitssystem nicht gutgehen.

Sie können jetzt als Gesundheitsminister Grundsteine legen für die Versorgung in einigen Jahrzehnten, wenn Sie vielleicht selbst älter und gebrechlicher sind. Wie sieht die Gesundheitsversorgung auf dem Land und in der Stadt in Deutschland etwa 2030, 2040 oder 2050 aus? 

Spahn: Da wird das Digitale eine entscheidende Rolle spielen, viel mehr als wir uns das heute vorstellen können. Das heißt nicht, dass es keine ärztliche Versorgung mehr gibt, aber ich glaube schon, dass sich die Versorgung stark verändern wird, alleine dadurch, was künstliche Intelligenz kann in Sachen Diagnosestellung und Therapievorschlägen. Da können Apps ärztliche Tätigkeiten in Teilen ersetzen. Telemedizin wird ein Riesenthema werden. Das können wir noch nicht abschätzen. Ich kann Ihnen das nicht abschließend beschreiben. Aber gerade die Landarzt- und Hausarztversorgung wird das verändern. 

Habe ich in zwanzig Jahren noch meinen Hausarzt des Vertrauens auf dem Land?

Spahn: Vielleicht eher auf dem Handy. Klar, der Goldstandard sollte die persönliche Begegnung sein, aber ein Gespräch muss nicht immer analog sein. Über digitale Strukturen kann eine Begleitung durch den Hausarzt vielleicht sogar enger werden. Weil er Sie leichter begleiten kann, auch wenn Sie nicht im Wartezimmer sitzen. Dem muss man natürlich einen vernünftigen gesetzlichen Rahmen geben, und der Patient muss zustimmen, aber dann kann das eine Chance sein.

Herr Assmann, wollen Sie in so einer Arbeitswelt noch gerne Arzt sein? 

Assmann: Ich bin ja ein großer Befürworter der Telemedizin. Aber sicher ist das eine Generations- und Einstellungsfrage. Wir Ärzte müssen Digitalisierung als eine Chance und ein Werkzeug wahrnehmen. Gesundheit wird trotzdem immer ein intimer Bereich bleiben. Da wird der Arzt als Mensch weiter gebraucht werden. Deshalb habe ich davor keine Angst.

Spahn: Aber unterschätzen sie eins nicht. Ärztliche Tätigkeit ist in der Diagnosestellung auch Wissensroutine. Es gibt jetzt schon die ersten Apps, die eine höhere Trefferquote haben als Ärzte bei Diagnosestellung. Sie lächeln...

Assmann: ...ja, ich kenne die. Ich arbeite damit auch mal. 

Spahn: Es ist ja auch kein Vorwurf. So eine App kann einfach viel mehr Studien und Wissen nutzen durch künstliche Intelligenz, als das ein einzelner Arzt kann. 

Assmann: Wenn solche Apps gut gemacht sind, dann empfinde ich das als Unterstützung. Aber was die digitalen Angebote für Patienten angeht: Am Ende, dabei bleibe ich, kommt der Patient zu mir als Mensch und will wissen, ob das, was er so im Netz, in Apps und sonst wo erfahren hat, auch stimmt. 

Herr Spahn, Sie haben vorhin davon gesprochen, Studenten müssten sich häufiger dazu verpflichten, später auch in der Versorgung zu arbeiten. Ist das Thema Digitalisierung, welches Sie ja auch antreiben, Ihrer Meinung nach schon genug in den medizinischen Hörsälen angekommen? Können junge Mediziner heute überhaupt schon abschätzen, wie sie in 15 Jahren arbeiten können und müssen? 

Spahn: An der ärztlichen Approbationsordnung müssen wir arbeiten. Das steht noch auf der Agenda. Die Herausforderung ist sicher, dass ein Medizinstudium plus Weiterbildung etwa zwölf Jahre dauert. Und wir diesen Zeitraum jetzt vielleicht nicht überblicken können. Politik und Ärztestände müssen deshalb gemeinsam schauen, ob wir schnell genug sind für die Digitalisierung. Wir müssen nicht vorauseilen, aber dranbleiben. Die Einstellung dabei ist wichtig. Es muss klar sein: Es kann nicht alles bleiben, wie es ist, gerade nicht im Medizinbereich.

Assmann: Ein Teil wird mitgehen, ein Teil nicht. E-Health im Studium endlich zu verankern, wäre richtig und wichtig. Herr Spahn, am Ende des Gespräch scheint es mir, als haben Sie politisch viel vor. Ich muss als Hausarzt daher die Frage stellen: Was machen Sie denn für Ihre Gesundheit, um bei viel Arbeit fit zu bleiben?

Spahn: Zu wenig.

Assmann: Keinen Sport?

Spahn: Doch, ich versuche natürlich, mich ab und zu zu bewegen. Was ich gerne mache, auch wenn das vielleicht erst einmal nicht nach Sport klingt: Ich gehe gerne einfach spazieren.

Assmann: Nein, das ist doch schon super. Ein Anfang.

Spahn: Aber ich gehe ab und zu auch zum Sport, sollte aber definitiv weniger Schokolade essen.

Assmann: Naja, das ist auch meine Schwäche.

Spahn: Äpfel wären aber schon besser als Schokolade, oder? 

Assmann: Naja, es gibt ja Marzipanäpfel.

Spahn: Sind die gesund? 

Assmann: Leider nicht, aber lecker.

Das Interview führte Lucia Schmidt.

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