Antworten auf die Fragen der Westfälischen Nachrichten

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn: "Wir müssen die Rahmenbedingungen verbessern, damit mehr Menschen in der Pflege arbeiten wollen."

Westfälische Nachrichten: Herr Minister Spahn, wie wollen Sie konkret dem Fachkräftemangel in der Pflege begegnen?

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn: Im ersten Schritt wollen wir sämtliche zusätzliche Pflegestellen in den Krankenhäusern voll finanzieren. Die Ausrede "Es ist kein Geld für Pflege da“ gilt da also künftig nicht mehr. Zudem schaffen wir 13.000 neue Stellen in der Altenpflege. Es ist allerdings eine Sache, Stellen zu finanzieren. Die größere Aufgabe ist es jedoch, diese Stellen dann auch zu besetzen! Wir müssen die Rahmenbedingungen verbessern, damit mehr Menschen in der Pflege arbeiten wollen. Viele Pflegekräfte sagen, es ist eigentlich ein schöner, erfüllender Beruf – wir wollen bessere Arbeitsbedingungen schaffen, dass sie ihn auch weiterhin gern ausüben.

Sie haben vor einigen Tagen den Vorstoß unternommen, dass die Pflegeberufe eigentlich besser bezahlt werden müssen, 2500 bis 3000 Euro waren die genannte Zielmarke. Das ist sicherlich gut gemeint; welchen Einfluss aber hat die Politik überhaupt, das auch nur in die Nähe einer Umsetzung zu bringen?

Das Problem in der Altenpflege ist, dass 80 Prozent der Beschäftigen nicht in tarifgebundenen Unternehmen arbeiten. Das wollen wir ändern, entweder über den Mindestlohn oder eben über die Allgemein­verbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen. Wir können einen staatlichen Rahmen setzen. Dafür werden Hubertus Heil und ich mit den ­Gewerkschaften sowie mit den Arbeitgebern in der Pflege sehr intensive Gespräche führen. Zusammen mit Familienministerin Franziska Giffey haben wir vor einigen Wochen die "Konzertierte Aktion Pflege“ ins Leben gerufen. Hier gehen wir auch das Thema Tarifverträge an.

Wie realistisch ist das angesichts der Trägervielfalt?

Es gibt ja schon einige, die bereits heute sehr gut zahlen. Andere wiederum zahlen vergleichsweise schlecht. Lange werden sich einige Träger dies aber nicht mehr erlauben können, denn der Kampf um die Fachkräfte ist bereits in vollem Gange. Wir müssen in der Altenpflege regelhaft zu einer besseren Bezahlung kommen – ganz besonders da, wo die Gehälter unter 2000 Euro liegen.

Woher kommt denn das Geld für viele zusätzlichen Pflegekräfte und die dann hoffentlich steigenden Gehälter?

Wir müssen zunächst einmal sehen, wie viel Geld wir tatsächlich zusätzlich benötigen. Klar ist, dass wir die Pflegebedürftigen mit den erhöhten Kosten nicht völlig allein lassen werden. Die Pflegekassen halten eine Erhöhung des Pflegeversicherungsbeitrages zum 1. Januar 2019 um 0,5 Beitragssatzpunkte für notwendig. Ich denke, diese Größenordnung ist realistisch. Es gibt generationenübergreifend eine hohe Akzeptanz für Mehrausgaben in der Pflege. Ich werbe aber auch bei meinem Kol­legen Hubertus Heil dafür, bei der Arbeitslosenversicherung vorhandene Senkungsspielräume zu nutzen, da wir die Lohnnebenkosten insgesamt nicht erhöhen wollen.

Die ärztliche Versorgung in der Fläche ist ein Riesenthema; Sie sind Anhänger digitaler Behandlungen bzw. Sprechstunden?

Ja. Die Frage ist, wollen wir die Digitalisierung des Gesundheitswesens aktiv gestalten, oder warten wir, bis Angebote aus dem Ausland auf uns zukommen? Diese Frage stellte ich auch auf dem Ärztetag. Und ich bin froh, dass dieser Online-Sprechstunden als Erstkontakt im Berufsrecht verankert hat. Ich ermuntere die Ärztekammern, solche Angebote zu ermöglichen. Klar ist: Die digitale Sprechstunde ist ein zusätzliches Angebot und kein Ersatz für den direkten Kontakt. Wenn Arzt und Patient den persönlichen Kontakt bevorzugen, bleibt das auch so. Wenn sich manche Dinge aus Patientensicht aber auch schnell online abklären lassen, erleichtert das das Leben beider.

Ein großes Problem sind die Notfallambulanzen in den Krankenhäusern. Es zeigt sich, dass rund 80 Prozent der Fälle gar keine Notfälle sind. Zur Regulierung schlägt die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen eine Notfall-Aufnahmegebühr von 50 Euro vor. Haben Sie dazu schon eine Meinung?


Ja, die habe ich. Die Antwort ist nein.

Weil zu hoch?

Wer wirklich dringend einer ärztlichen Behandlung bedarf, soll nicht mit einer zu hohen Gebühr von der Notfallambulanz abgehalten werden. Zweifellos müssen wir aber auch mit Patienten darüber reden, ob jeder vermeintliche Notfall tatsächlich ein Notfall ist. Natürlich ist das für Nicht-Mediziner nicht immer einfach zu unterscheiden. Wir benötigen die Notfallressourcen etwa für Schlag­anfälle, Herzinfarkte und Unfälle – nicht für den drei Wochen alten Rückenschmerz. Ich möchte zügig Notfallambulanz, Notdienst der Ärzteschaft und den 112-Rettungsdienst organisatorisch enger zusammenführen. Das Ziel: Menschen mit medizinischer Erfahrung sollen am Telefon oder auch am Tresen die Fälle nach ihrer Schwere einschätzen. Ist das ein Notfall oder reicht es, dem Patienten für den Montagmorgen einen Arzttermin zu besorgen? Das ist ein großes und schwieriges Projekt, aber ich möchte es angehen.

Wenn die Bundesregierung durchhält, finden in gut drei Jahren wieder Bundestagswahlen statt. Woran wollen Sie sich als Bundesminister dann messen lassen?

Für mich lautet die Überschrift "Vertrauen zurückgewinnen“. Der 24. September des vergangenen Jahres hat gezeigt, wie massiv alle drei regierenden Parteien Vertrauen verloren haben. Auch in der Pflege haben wir eine Vertrauenskrise. Wenn in drei Jahren Pflegekräfte, Physiotherapeuten, Ärzte und vor allem Patienten sagen, es hat sich im Alltag spürbar etwas verbessert, bin ich zufrieden. Spürbare Verbesserungen in der Pflege, eine funktionierende elektronische Patientenakte und kürzere Wartezeiten für Arzttermine: Daran will ich mich messen lassen.

Hat der Bundesgesundheitsminister trotz dieser vielfältigen Aufgaben in diesem Sommer überhaupt Zeit für Urlaub?

Na klar.

Wo geht’s hin, wenn Sie es verraten wollen?


Es geht nach Tirol. Ich liebe zwar das flache Münsterland, aber ein oder zwei Wochen im Jahr schaden auch ein paar Berge nicht. Urlaub mit Schlaf und den Salzburger Festspielen.

 

Das Gespräch führte Norbert Tiemann.

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